Pflanzengeographie

[721] Pflanzengeographie (hierzu Karte »Verbreitung der wichtigsten Pflanzengruppen der Erde«, mit Textblatt), die Lehre von der Verteilung der Pflanzen auf der Erde, den sich daraus für die verschiedenen Gegenden ergebenden Vegetationsverhältnissen und der diesen Erscheinungen zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeit. Die P. kann von zwei Gesichtspunkten aus betrachtet und danach in die floristische und die biologische P. eingeteilt werden. Die floristische P. teilt nach den statistischen Befunden die Erdoberfläche in natürliche Gebiete, Florenreiche, Pflanzenregionen, Vegetationszonen, untersucht die Abhängigkeit der Gebietsgrenzen von den geographischen Faktoren, hauptsächlich von der Verteilung der Wärme, der Feuchtigkeit und des Lichtes auf der Erdoberfläche, und stellt die floristische Verwandtschaft der einzelnen Gebiete mit ihren Nachbargebieten, die Wege der Pflanzenwanderungen, den Bestand der Floren an endemischen Arten etc. fest. Die systematische Zusammenfassung der Gesamtheit aller Pflanzen eines natürlich umgrenzten Gebietes der Erde wird als die Flora dieses Gebietes bezeichnet. Der Teil der Erdoberfläche, in dem eine einzelne Pflanzenart vorkommt, ist ihr Verbreitungsbezirk oder Areal, dessen Grenzen sind ihre Vegetationslinien. Arten mit sehr großem Areal, sogen. kosmopolitische Arten, gibt es nur wenige; etwa 25 Arten, vorzugsweise Unkräuter, Schutt- und Wasserpflanzen, bewohnen ein Gebiet von der Ausdehnung der halben Erde, etwa 100 Arten ein solches von einem Drittel der Landoberfläche. Die meisten Pflanzen sind vielmehr an engere Räume gebunden, manche beschränken sich auf einzelne Inselgruppen. auf eine einzige Insel oder einen einzelnen Gebirgszug. Das Vorkommen von endemischen, d.h. in einem begrenzten Gebiet ausschließlich einheimischen Arten oder Gattungen ist für die Abgrenzung floristischer Bezirke von größter Bedeutung; je zahlreicher die Endemismen in einem bestimmten Gebiet auftreten, desto mehr erscheint es als ein in sich selbständiges Florengebiet. Bisweilen entsprechen sich in zwei weitgetrennten Gebieten gewisse endemische Formen derart, daß sie einen gemeinsamen Ursprung voraussetzen lassen (sogen. vikariierende oder korrespondierende Arten). Floristische Gebiete, in denen die überwiegende Mehrzahl der Arten denselben Gattungen oder Familien angehören, werden zu Florenreichen zusammengefaßt, die nach floristischen Merkmalen noch weiter in Unterbezirke verschiedenen Ranges[721] (Vegetationsgebiete, Provinzen) gegliedert werden. Eine Übersicht über diese Einteilung und Gliederung der Vegetation der Erde gibt die Karte und der sie begleitende Text. Die Verbreitung der Pflanzen wird durch bestimmte Organisationsverhältnisse der Sproßbildung sowie der Frucht und des Samens (s. Aussaat, natürliche) unterstützt, vermöge deren sie, wenn sie außerhalb ihres Areals die ihnen zusagenden äußern Lebensbedingungen finden, ihr Wohngebiet schrittweise vergrößern können. Die fortwährenden Umwandlungen der geologischen und klimatologischen Verhältnisse auf der Erdoberfläche haben in frühern Epochen der Erdgeschichte mannigfache Pflanzenwanderungen veranlaßt, die zur Erklärung für das Zustandekommen der gegenwärtigen Verteilung der Pflanzen herangezogen werden müssen, und in den Pflanzeneinwanderungen und der Bildung von Adventivfloren (vgl. Ankömmlinge) sehen wir auch heute noch eine allmähliche Umgestaltung der Flora sich vollziehen. Die biologische (ökologische) P. hat zum Gegenstande die Vergesellschaftung und Formgestaltung der Florenelemente unter der Einwirkung der äußern Faktoren, wie Wärme, Licht, Wasser, Nahrung etc. Sie bezeichnet als Pflanzenvereine Gesellschaften von Gewächsen, die den in Luft und Boden dargebotenen Nahrungsvorrat miteinander teilen, also gleichsam an demselben Tische speisen. Die Pflanzenvereine schließen sich zusammen zu größern Einheiten (Vereinsklassen), deren Physiognomie und Lebenshaushalt im großen und ganzen übereinstimmen, während der Inhalt an Arten, die floristische Zusammensetzung der größern Verbände von Land zu Land wechselt. Die Abhängigkeit des Pflanzenlebens vom Wasser, als dem am tiefsten eingreifenden biologischen Faktor, führt zur Unterscheidung von vier Hauptklassen von Pflanzenvereinen: 1) Wasserpflanzenvereine (Hydrophytenvegetation) leben im Wasser oder in einem sehr wasserreichen Boden. 2) Dürrpflanzenvereine (Xerophytenvegetation) vermögen während eines längern Jahreszeitraumes bei großer Trockenheit zu wachsen. 3) Salzpflanzenvereine (Halophytenvegetation) sind an einen reichlichen Gehalt des Bodens an Chlornatrium gebunden. 4) Mittelpflanzenvereine (Mesophytenvegetation) setzen eine mittlere Feuchtigkeit des Bodens und der Luft voraus und ertragen einen höhern Kochsalzgehalt des Bodens nicht. Ein besonderer Zweig der P., die Pflanzenstatistik, hat es mit den numerischen Verhältnissen des Vorkommens der Arten, Gattungen und Familien der Pflanzen zu tun. Man pflegt die Zahl der wirklich auf der Erde existierenden Pflanzen auf 200–300,000 zu schätzen. Die Zahl der bis jetzt beschriebenen Arten ist schwer zu bestimmen, da über die Abgrenzung der einzelnen Arten bei den Schriftstellern vielfach Meinungsverschiedenheiten herrschen. Sie bleibt jedenfalls gegen die Schätzung noch weit zurück, da viele Erdstriche botanisch noch wenig durchforscht sind. Auch in bekannten Ländern werden fortwährend noch neue Arten besonders von Kryptogamen aufgefunden und durch schärfere Unterscheidung der Artmerkmale die Zahl der beschriebenen Arten vermehrt. Vgl. A. v. Humboldt und Bonpland, Ideen zu einer Geographie der Pflanzen (Stuttg. 1807); Schouw, Grundzüge einer allgemeinen P. (deutsch, Berl. 1824); De Candolle, Géographie botanique (Par. 1855, 2 Bde.); Grisebach, Die Vegetation der Erde nach ihrer klimatischen Anordnung (2. Aufl., Leipz. 1884, 2 Bde.) und Abhandlungen zur P. (das. 1880); Engler, Versuch einer Entwickelungsgeschichte der Pflanzenwelt (das. 1879 bis 1882, 2 Bde.); Drude, Handbuch der P. (Stuttg. 1890) und Deutschlands P. (das. 1896, Bd. 1); Warming, Lehrbuch der ökologischen P. (deutsch von Knoblauch, Berl. 1896); Schimper, P. auf physiologischer Grundlage (Jena 1898); Graf zu Solms-Laubach, Die leitenden Gesichtspunkte einer allgemeinen P. (Leipz. 1905). Eine Sammlung pflanzengeographischer Monographien geben Engler und Drude u. d. T.: »Die Vegetation der Erde« (Leipz. 1896 ff.) heraus. Abbildungen: A. Hansen, Pflanzengeographische Tafeln (20 Lichtdrucktafeln mit Text, Berl. 1899 ff.); »Vegetationsbilder« (hrsg. von Karsten und Schenck, Jena 1903 ff.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 721-722.
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