Sieyès

[455] Sieyès (spr. ßjejäß oder ßjäß), Emanuel Joseph, franz. Staatsmann, geb. 3. Mai 1748 in Fréjus, gest. 20. Juni 1836, ward Kanonikus, dann Generalvikar des Bischofs von Chartres, hierauf Mitglied des Chambre supérieure des französischen Klerus. Mehrere seiner auf die brennenden Zeitfragen bezüglichen Broschüren, darunter der »Essai sur les priviléges« und das Pamphlet »Qu'est-ce que le tiers-état?« (Jan. 1789; neu hrsg. von F. Koppel, Dresd. 1876), übten eine gewaltige Wirkung auf die Menge aus. Von der Stadt Paris in die Generalstände gesandt, gewann er hier einen bedeutenden Einfluß. Er wirkte für die Vereinigung der drei Stände, setzte die Bezeichnung »Nationalversammlung« durch und veranlaßte im Ballhaus den berühmten Eid, durch den die Deputierten 20. Juni 1789 schwuren, sich nicht eher wieder zu trennen, als bis sie Frankreich eine Konstitution gegeben hätten. Seine Schrift »Reconnaissance et exposition des droits de l'homme et du citoyen« (Juli 1789) war der Vorläufer der Erklärung der Menschenrechte. Den Girondisten diente er durch Ratschläge und republikanische Propaganda. In den Konvent gewählt, stimmte er im Januar 1793 für den Tod des Königs. In der Schreckenszeit hielt er sich im Hintergrund und entging dadurch der Guillotine. Nach Robespierres Sturz ward er Mitglied des Wohlfahrtsausschusses und leitete die äußere Politik. Im Rat der Fünfhundert wurde er der Führer der gemäßigten RepublikanerIndependenten«). 1798 wurde er als bevollmächtigter Minister nach Berlin gesandt. Nach seiner Rückkunft trat er 1799 ins Direktorium, wo er gänzlich mit den Jakobinern brach und auf einen völligen Umschwung hinarbeitete. So ließ er sich von Bonaparte für den Staatsstreich vom 18. Brumaire gewinnen, nach dem er die neue komplizierte Verfassung ausarbeitete und provisorischer Konsul wurde. Aber der unpraktische Politiker ward bald von Bonaparte aus aller Macht verdrängt und durch die Ernennung zum Senator, die einträgliche Staatsdomäne Crosne sowie den Grafentitel entschädigt. Nach der zweiten Restauration als Königsmörder verbannt, begab er sich nach Brüssel. Nach der Revolution von 1830 kehrte er nach Paris zurück, wo er Mitglied des französischen Instituts wurde. Vgl. Mignet, Notice historique sur la vie et les travaux de S. (Par. 1836); Beauverger, Étude sur S., im »Tableau historique des progrès de la philosophie politique« (das. 1858); Bigeon, Sieyès (das. 1893); Neton, S., 1748–1836, d'après des documents inédits (das. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 455.
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