Unterwelt

[946] Unterwelt, nach dem Glauben vieler Völker der Aufenthalt der Toten, insbes. der Strafort für Sünder. So bei den Ägyptern, wo Osiris, Serapis und Isis in der U. herrschen und Gericht halten. Die Juden nannten die U. Scheol (s. d.). Bei den Griechen ist Hades oder Pluton (s. d.) Herrscher der U., deren Eingang bei Homer am jenseitigen Westrande des Okeanos liegt; später galten verschiedene Stellen, wo Schlünde in das Erdinnere zu führen schienen, als Eingänge, so besonders am Vorgebirge Tänaron. Durchflossen wird bei Homer die U. von den Strömen Styx und Acheron mit seinen Zuflüssen Kokytos und Pyriphlegethon; nachhomerische Zeit läßt diese und den Lethefluß die U. umfließen und die von Hermes geleiteten Seelen durch den Fergen Charon zum Eingang der U. überfahren, wo der Hund Kerberos Wache hält. Eigentlicher Sitz der unterirdischen Mächte ist das Erebos, das undurchdringliche Dunkel. Bei Homer bewahren die Seelen die äußern Formen ihres-Körpers und erhalten durch Blutgenuß zeitweilig Besinnung und Sprache zurück. Fremd ist der ältesten Anschauung eine Belohnung der Guten, wie überhaupt eine Scheidung von Gerechten und Ungerechten und die damit verbundene Vorstellung eines Gerichts, das spätere Sage dem Minos, Rhadamanthys und Äakosübertrug (vgl. Ruhl, De mortuorum iudicio, Gieß. 1903), wie sie auch das Elysium (s. d.) als Stätte der Seligen und den Tactaros (s. d.) als Ort der Verdammnis in die U. verlegt, und die Seelen, die ein mittleres Leben geführt, in dem Raume zwischen beiden, der Asphodeloswiese, umherschweifen läßt. Vgl. Rademacher, Das Jenseits im Mythos der Hellenen (Bonn 1903); Rohde, Psyche (4. Aufl., Tübing. 1907,[946] 2 Bde.). Von großem Einfluß auf den Volksglauben über Lohn und Strafe in der U. sind die Lehren der Orphiker gewesen (vgl. Dieterich, Nekyia, Leipz. 1893). Bei den Römern ist der Aufenthalt der abgeschiedenen Seelen, der Manen, der Orkus; die Anschauungen der Griechen sind bei ihnen durch die Dichter, namentlich Vergil, gang und gäbe geworden. Über die U. der Germanen s. Hel. Vgl. auch Artikel »Hölle« und A. Jeremias, Hölle und Paradies bei den Babyloniern (2. Aufl., Leipz. 1903).

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 946-947.
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