Asyl

[863] Asyl (Asylum, gr.), 1) Freistätte, Zufluchtsort für Schuldige um. der weltlichen Strafe zu entgehen; die Unverletzbarkeit eines solchen heißt Asylrecht (Asylĭa). Bei den Juden waren, außer dem Altare in der Stiftshütte, die 6 Städte Bezer, Ramoth, Golan, Kedes, Sichem u. Kiriath-Arba Freistädte od. A-e, wohin sich Todtschläger flüchteten. Zeigte es sich, daß der Todtschlag absichtlich begangen war, so ward der Mörder dem Bluträcher ausgeliefert; sonst durfte ihn dieser innerhalb des Stadtgebietes nicht verletzen. Später wurde auch der Tempel zu Jerusalem A. In Griechenland (wo zuerst die Herakliden in Athen u. Kadmos in Theben A-e errichtet haben sollen) u. Rom (wo zuerst Romulus eins anlegte), waren heilige Haine, Tempel, Altäre u. Tempelstädte, später die Adler der Legionen, die Bildsäulen der Kaiser etc. A-e. Anfangs galten sie nur für unvorsätzliche Todtschläger, hart gemißhandelte Sklaven, verarmte Schuldner, später auch für eigentliche Missethäter. Obgleich jede Verletzung des A-s für einen Frevel gegen die Götter gehalten u. gemeint wurde, daß diese das ganze Volk dafür straften, so schnitt man doch zuweilen dem Verbrecher im A. die Nahrung ab u. tödtete ihn so durch Hunger (s. Pausanias, vgl. Kylon). Den christlichen Kirchen gab Constantin d. Gr. zuerst das A-recht; ihr Zweck war unschuldig Verfolgten Sicherheit, in zweifelhaften Fällen einen Schutzort zu gewähren; das Decret Gratians u. die päpstlichen Decretalen gestatteten es allen Verbrechern. Dem widersetzten sich bald die Fürsten, u. mehrere der Päpste, bes. Gregor XIV. u. Benedict XIII., bestimmten das A-recht genau. Ausgeschlossen wurden Straßenräuber, vorsätzliche Mörder, Felddiebe, Diebe von Profession, von der Inquisition verfolgte Ketzer, Meuchelmörder u. die, welche sie gedungen, solche, die sich an der Person eines Fürsten vergriffen hatten, Falschmünzer, Duellanten, Betrüger grober Art. Der zum A. geflohen war, wurde verhaftet u. untersucht, ob es ihm Schutz gewähren könne, so bes. in Deutschland, wo sich die Kaiser nie genau an dies Recht gekehrt hatten u. wo dasselbe von protestantischen Fürsten vollends aufgehoben ward. Am längsten dauerte es in Italien fort, wo ihm erst die französische Occupation ganz ein Ende machte. Außer den Kirchen ward oft noch den Umgebungen derselben (30–40 Schritt im Umfang) u. den Klöstern, Wohnungen der Geistlichen, Hospitälern, Gräbern u. Kreuzen das A-recht zugestanden. Auch die weltlichen Obrigkeiten errichteten A-e; so war z.B. Reutlingen eine Freistadt für unvorsätzliche Todtschläger. Während des Faustrechtes wurden auch zuweilen die Burgfrieden um Ritterburgen für A-e geachtet; wenigstens durfte der Verbrecher nicht ohne Bewilligung des Burgherrn davon weggeholt werden. In neuerer Zeit genießen die Häuser von Gesandten, u. in Rom die Wohnungen der Cardinäle des A-rechtes; doch pflegen Verbrecher stets ausgeliefert zu werden, u. zur Carnevalzeit ist das A-recht aufgehoben; 2) bildlich Zufluchtsort, Ruhestätte.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 863.
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