Censūr

[802] Censūr (v. lat. Censura), 1) Beurtheilung einer Sache; 2) Urtheil des Lehrers über die Schüler, bes. am Ende eines Viertel- od. Halbjahrs, wo es in einem schriftlichen Zeugnisse niedergelegt wird; dann bes. 3) das Urtheil der Examinatoren über den Examinanden bei einer Prüfung; 4) Sittencensur, eine Einrichtung des römischen Staates, s. Censor 2); 5) in den modernen Staaten eine Anstalt, welche in der Absicht errichtet wurde, daß keine Meinungen u. Ansichten mittels der Presse u. des Theaters Verbreitung finden sollten, welche der Autorität des Staates u. der Kirche zu schaden im Stande wären. Die Einrichtung bestand darin, daß alle Manuscripte, ehe sie zum Druck, u. alle Theaterstücke, ehe sie zur Aufführung kamen, dem vom Staate angestellten Censor vorgelegt wurden. Dieser strich, was er für staats- u. glaubensgefährlich hielt, weg, u. so konnte die Druckschrift publicirt u. das Theaterstück auf die Bühne gebracht werden. Mit Ausnahme Rußlands haben alle europäische Staaten die C. in politischer Beziehung abgeschafft, u. nur in wenigen Staaten ist der Kirche das Recht dieselbe auszuüben vorbehalten. An ihre Stelle traten die Preßgesetze, welche, statt daß es ehemals dem Gutdünken eines Einzelnen überlassen wurde, über die Zulässigkeit einer Schrift od. einzelner Theile derselben zum Druck zu entscheiden, dazu dienen, Vergehen u. Verbrechen, welche mittels der Presse gegen das öffentliche Wohl od. gegen Private verübt werden, zu bestrafen u. dadurch die Presse von dem Mißbrauch ihrer Freiheit fern zu halten. Vgl. Preßgesetzgebung. Die C. kam zuerst im Anfang des 16. Jahrh. zur Anwendung u. wurde von Geistlichen zur Verhinderung der Verbreitung ketzerischer Ansichten ausgeübt. Förmlich eingeführt wurde dieselbe durch die Bulle Leos X. vom 12. Mai 1515. Diese legte den Bischöfen u. Inquisitoren die Pflicht auf, alle ihre Schriften vor dem Drucke durchzusehen u. ketzerische Meinungen nicht zu dulden, u. das Tridentinische Concil verbot den Druck u. das Lesen antikatholischer Schriften ausdrücklich. Der Index librorum prohibitorum (s.d.) ward begonnen u. seine Fortsetzung 1563 den Päpsten überlassen. Der Päpstliche Stuhl suchte auch die weltliche Macht zu vermögen, sie hierin zu unterstützen, mehrere deutsche Reichsabschiede, so der von 1524, enthielten Verbote der gegenseitigen Schmähschriften u. die von 1530, 1541, 1548, 1567, 1577 verordneten eine schärfere Beaufsichtigung der Druckereien. Noch strengere Maßregeln wurden in Spanien, Italien u. später in Frankreich getroffen. 1522 gab der Legat Chieregati auf dem Reichstag zu Nürnberg die Erklärung, daß man alles ohne Erlaubniß Gedruckte wegnehmen u. verbrennen, Drucker aber u. Verkäufer strafen könne. An den meisten katholischen Orten fand eine doppelte C. Statt, die C. der Bischöfe u. die C. des Staates. In manchen Staaten bestand auch nur eine von beiden, so in geistlichen Staaten die bischöfliche, in evangelischen Staaten u. auch in Frankreich die Staats-C. Milder verfuhr die politische C. seit dem Westfälischen Frieden, obschon die deutschen Kaiser u. namentlich Leopold I. u. Franz II. in jeder Wahlcapitulation beschworen, die C. zu handhaben, u. bei Censurbeschwerden die Reichsfiscale mit Beschwerden in des Kaisers Namen einschreiten ließen. Abgeschafft wurde die C. zuerst in England 1694 durch Parlamentsbeschluß, dann in Dänemark 1770, in Schweden 1809, in Frankreich 1827, in Belgien 1830, in Spanien 1833, in Deutschland u. Österreich 1848.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 802.
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