Heros

[287] Heros (Held). Den Griechen waren Heroen Wesen, die zwar ganz wie Menschen geartet, aber durch ihre Talente weit über das gewöhnliche Maß der menschlichen Natur hinausreichend Idealmenschen sind, die selbst von den Göttern abstammen (daher Diogeneis genannt). Der Heroendienst erklärt sich aus dem Bestreben, die Anfänge des menschlichen Geschlechts überhaupt, als des nationalen Lebens insbesondere für eine der Gottheit wie der Menschheit würdige Weise darzustellen. Denn indem man die Abstammung der Heroen von den Göttern setzte, suchte man die Anfänge der Menschheit von dem Wirken einer höhern Welt abhängig zu machen, u. indem man den Heroen außergewöhnliche Kräfte u. Vorzüge beilegte, that man dies doch nur in dem Glauben, daß sie diese zur Befreiung des Landes von Ungeheuern, des Volkes von ausländischen Feinden, zur Gründung von Ordnung u. Sitte, überhaupt als Wohlthäter des menschlichen Geschlechtes angewendet hätten. So sind die Heroen zugleich Nationalhelden, die Könige, Gesetzgeber, Begründer u. Ordner des Staates, Vorkämpfer in der Schlacht, Anführer bei Abenteuern, Begründer aller königlichen u. edlen Geschlechter. Das Eigenthümlichste der Heroensage ist, daß Ideelles u. Faktisches in ihr ganz verschmolzen wird. Bei Homer unterscheiden sich die Heroen fast gar nicht von den Menschen, sind aber stärker, muthiger, schöner u. stehen im Verkehr mit den Göttern, von denen sie abstammen; im Gegensatz zu ihnen die gewöhnlichen Menschen, die Männer des Volks, die unmittelbar aus den Händen der Natur hervorgegangen sind. In das Elysion, auf die Inseln der Seligen, sind Rhadamanthys u. Menelaos ohne Tod versetzt worden; auch andere Heroen finden dort nach dem Tode ihre Wohnsitze. Hesiod, für den die Zeit der Heroen schon verschwunden ist, denkt sich diese als ein inmitten der Götter stehendes Geschlecht, als Halbgötter. Durch Krieg u. Noth ist es aufgerieben worden u. lebt jetzt geschieden von den andern Menschen in dem Elysion, wo Kronos der Herrscher ist. So entstand nun der Heroencult, der nothwendig ein Todtendienst werden mußte. Ihr Cult schloß sich besonders an ihre Gräber (Heroa) an; doch baute man ihnen auch an andern Orten Altäre, Kapellen u. Tempel. Man opferte ihnen Honig, Wein, Wasser, Öl, Milch; beim Opfern wendete man sich mit dem Gesicht nach Abend, der [287] Gegend der Unterwelt, u. goß die Spende in eine westlich vom Grabe des H. gemachte Grube. Wenn Thiere geopfert wurden, ließ man das Blut in die Grube fließen u. verbrannte das Fleisch. Allmälig aber wurde jede Einrichtung auf einen H. zurückgeführt, u. so galten Heroen als Stifter der Innungen, selbst als Gründer von Dörfern. Eine weitere Ausdehnung gewann der Heroenglaube dadurch, daß man die Heroen mit den Dämonen identificirte u. so in Jedem, bei dem sich ein ungewöhnliches Talent, außerordentliche Kraft u. Anstrengung, große Körperschönheit etc. zeigte, etwas Übernatürliches, mit den Göttern Verwandtes, etwas Dämonisches u. Heroisches erblickte. Endlich begann sich in den spätern Zeiten die Heroenverehrung so weit auszudehnen, daß man fast alle Verstorbene als Heroen achtete, indem man in jeder menschlichen Seele etwas Dämonisches od. Göttliches sah; u. so wurden seit Lysanders Zeiten alle ausgezeichnete Menschen durch die Apotheose zu Göttern erhoben. Heroen im engern Sinne aber sind nur Gegenstand der epischen Sage u. Mythologie u. reichen bis zur Rückkehr der dorischen Herakliten in den Peloponnes. So finden sich in Thessalien die Lapithen u. Kentauren; in Theben Kadmos, Amphion u. Zethos; in Argos Jo, Danaos u. die Danaiden, Prötos u. die Prötiden, Perseus; in Korinth Sisyphos, Glaukos, Bellerophon; in Lakonika u. Messenien die Dioskuren u. Helena; in Kreta Europe, Minos u. sein Geschlecht; in Attika Kekrops, Erichthonios, Erechtheus, Prokne u. Philomele, Kephalos u. Prokris, Boreas u. Orithyia, Erechtheus u. Eumolpos, Jon, Pandion u. die Pandioniden. Dann folgt Herakles mit seinem weiten Sagenkreise u. Theseus; nach ihm Meleager, die Helden des Argonautenzugs, des thebanischen u. trojanischen Cyklus.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 287-288.
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