Sonntagsschulen

[294] Sonntagsschulen, Schulen, in welchen junge Leute, namentlich Lehrlinge u. Gesellen, des Sonntags unterrichtet werden. Die Gegenstände des Unterrichts sind gewöhnlich Zeichnen, Schreiben, Naturwissenschaften, Geschichte, Deutsche Sprache, Geographie u. Rechnen. An Fabrikorten wird auch im Ausnehmen der Muster für das Weben Unterricht ertheilt (s. Webeschulen). Der Zweck des Unterrichts ist, theils das Erlernte zu wiederholen, theils den Schüler darin fortzubilden. Den Unterricht ertheilen in der Regel Geistliche, Schullehrer, Beamte u. Gewerbtreibende. In größeren Städten sind besondere Lehrer angestellt. Der Unterricht selbst ist für die Schüler frei u. die Lehrer erhalten aus den Gewerbvereinskassen, od. auch von den städtischen Behörden einen mäßigen Gehalt; in manchen Ländern wird aus Staatskassen ein Betrag zu den S. gegeben. Die Frage, ob die S. der Sonntagsfeier nachtheilig sind, ist verschieden beantwortet worden. S. kommen zuerst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. in Norditalien vor, wo Karl Borromeo dergleichen für den Unterrichtarmer Kinder gründete, wie sie auch jetzt noch in der Lombardei u. im Venetianischen bestehen. In Deutschland wurden S. bereits 1754 durch den Superintendenten Eisenlohr in der Diöcese Pforzheim versucht u. von dem Markgrafen Karl Friedrich für ganz Baden angeordnet, welche die Jugend bis zum 18. Lebensjahre besuchen mußte. Auch in Baiern u. Württemberg wurden sie eingeführt, so wie in England. Jedoch hatten diese Art von S. einen etwas andern Zweck, als die jetzt bestehenden, indem sie die heranwachsende Jugend für die Feier des Sonntags empfänglich machen sollten. Die eigentlichen S. (Sunday-schools) als Lehranstalten entstanden durch Thätigkeit von Privaten u. freien Vereinen in England, wo die erste 1762 von dem Buchdrucker Rob. Raikes zu Gloucester für den Unterricht der Kinder der Armen u. Fabrikarbeiter eingerichtet u. wo 1846 über 11/2 Mill. Schüler in den S. unterrichtet wurden; nächst den in Nordamerika, wo die erste 1791 in Philadelphia eingerichtet wurde u. wo auch die 1834 gegründete American Sunday-school Union, welche für die Verbreitung der S. wirkt, ihren Sitz hat. Die amerikanischen S. beschränken sich auf Gesang, Gebet u. religiöse Belehrung. In Deutschland sind die meisten S. Fortbildungsanstalten für künftige Gewerbtreibende. In Rußland wurden sie alle im Juni 1862 auf kaiserlichen Befehl geschlossen, weil sich erwiesen hatte, daß sie, dem auch dort erweckten Zeitgeiste folgend, mehr zur Verbreitung falscher Begriffe über Besitzthum u. Religion als der dem gemeinen Mann unumgängig nützlichen Kenntnisse dienten. Die Geschichte der S. s. in Wichern Fliegende Blätter, 1846.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 294.
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