Übergabe

[107] Übergabe, 1) (Traditio), in privatrechtlicher Beziehung die Übertragung des Besitzes einer Sache von dem bisherigen Inhaber derselben auf einen Andern. Dieselbe kann entweder blos als ein Act des Besitzerwerbes vorkommen, od. auch als ein Act der Übertragung des Eigentums. Im letztern Falle wird erfordert, daß eine Übergabe auch in der Absicht Eigenthum zu übertragen u. zu erwerben erfolge u. daß diese Absicht in einem Rechtsgeschäft (Justa causa traditionis) erkennbar hervortrete; ferner, daß der Übergehende (Tradent) auch an dem zu übergebenden Gegenstande selbst Eigenthum habe u. die Fähigkeit dasselbe zu veräußern besitze, sowie daß damit auch die Fähigkeit u. der Wille des Empfängers Eigenthum entweder für sich od. einen Andern zu erwerben zusammentreffe. Doch gibt es mehre Ausnahmsfälle, in welchen auch die von einem Nichteigenthümer vorgenommene Übergabe sofort dem Erwerber das Eigenthum verleiht. Dahin gehört, wenn demselben gesetzlich die Befugniß zur Veräußerung zusteht, z.B. dem Pfandgläubiger, wenn er den Eigenthümer zu vertreten berechtigt ist, wie der Vormund, Bevollmächtigte etc.; wenn der Fiscus, Regent od. dessen Gemahlin eine fremde Sache als ihnen gehörig veräußert; der bisherige Eigenthümer hat solchenfalls gemeinrechtlich nur eine auf den Zeitraum von vier Jahren, beschränkte Entschädigungsklage gegen den Veräußerer. Durch einen unterlaufenden Irrthum wird die Wirksamkeit der Ü. gehemmt. Beabsichtigt z.B. der Tradent einem Andern als dem Empfänger zu übergeben, so geht das Eigenthum nicht über; ebensowenig, wenn der Empfänger glaubt eine andere Sache zu empfangen als diejenige, welche ihm wirklich übergeben wird. Fand aber der Irrthum in Beziehung auf das zu Grunde liegende Rechtsgeschäft statt, so ist zu unterscheiden, ob die beiderseitigen Meinungen des Tradenten u. Empfängers auf solche Rechtsgeschäfte gingen, von denen nur das eine, nicht aber das andere Eigenthumsübertragung bezweckte. Nur im letzteren Falle bewirkt der Irrthum, daß eine Eigenthumsübertragung nicht stattfindet. Für den eigentlichen Act der Ü. endlich genügt es nach gemeinem Rechte, wenn derselbe sich äußerlich als einen solchen darstellt, daß der Empfänger der Sache wirklich u. vollständig die physische Gewalt über die Sache erhält. Bei beweglichen Sachen geschieht dies gewöhnlich durch körperliche Berührung; allein nothwendig ist dieselbe deshalb nicht, da das Resultat der factischen Gewalt auch auf andere Weise hervorgebracht werden kann. Es genügt daher auch, wenn dem Empfänger nur die Schlüssel zu dem Behältnisse überliefert werden, in welchem sich die Bache befindet, od. daß die Sache in den Gewahrsam des Empfängers gebracht wird. Bei Grundstücken reicht es nach Römischem Rechte aus, wenn nur der Besitzer denjenigen, welchem es tradirt werden soll, in dasselbe einweist, ohne daß der Letztere es deshalb zu betreten braucht (Traditio longa manu, Ü. zur langen Hand). Umgekehrt ist der Ausdruck Traditio brevi manu (Ü. zur kurzen Hand) da üblich, wo der Erwerber sich bereits im Besitze der zu erwerbenden Sache, z.B. als Pächter, befindet; hier reicht dann blos eine Erklärung des Tradenten, daß er das Eigenthum zu Gunsten des Andern aufgeben wolle, aus. Doch haben diese Grundsätze des Römischen Rechtes in Deutschland eigentlich nur in Betreff des durch Tradition vermittelten Eigenthumserwerbs an Mobilien gemeinrechtliche Geltung erlangt u. behalten; für das Recht der Grundstücke hat sich insofern ein anderes Recht ausgebildet, als nach dem Rechte fast aller deutschen Staaten für den Eigenthumserwerber an solchen eine gerichtliche Auflassung (T. judicialis, Investitura, Adhaeredatio, Anerbung), d.h. die feierliche vertragsmäßige Übertragung des Eigenthums durch den Richter od. wenigstens unter Mitwirkung desselben, erfordert wird, welche dem Römischen Recht ganz unbekannt ist. Dieselbe hat sich geschichtlich aus dem Gebrauche einer symbolischen Ü. entwickelt, welche vorbeugen auf dem Grundstücke selbst, z.B. durch Ü. eines von den Bäumen des Grundstückes abgebrochenen Zweiges (Adrhamitio, Affatamia, T. per ramum), od. einer Erdscholle (T. per scotum, Scotatio), od. eines Spanes aus der Thüre des Hauses (Effestucatio) stattfand. Dabei wurde dann nach Vollziehung des Actes zum Beweise desselben gewöhnlich eine Urkunde (Charta, Testamentum) aufgenommen In der spätern Zeit änderten sich theils die angewendeten Symbole, theils erlangten die über die Auflassung aufgenommenen Urkunden immer größere Bedeutung. Sie wurden bald für den wesentlichen Bestandtheil des Geschäfts gehalten, so daß man z.B. die alten Symbole in manchen Gerichten nur noch aus die Urkunden legte; endlich verdrängten sie die alten Symbole ganz. In Folge dessen besteht die neuere Form der Ü. bei Grundstücksübereignungen entweder in der Eintragung des neuen Äcquirenten durch das Gericht od. durch einzelne Gerichtspersonen in bes. dazu bestimmte Grundbücher (Saalbücher, Erbregister, Lager-, Stadterbe-, Schreinsbücher, Tafel, Rollen), od. in die allgemeinen Gerichtsbücher (Kauf- u. Handelsprotokolle, Handels-, Auftragsbücher); od. in der gerichtlichen Ausfertigung u. Bestätigung des Contracts, in Folge dessen das Eigenthum übergehen soll (Kauf-, Schote-, Wehrbriefes), mit welcher dann auch gewöhnlich noch eine Umschreibung der Eigenthümer in den dafür bestimmten Gerichts od. den Hypothekenbüchern verbunden ist (s.u. Hypothek). Die Zuständigkeit zur Vornahme des betreffenden Actes hat der Judex rei sitae, d.h. der Richter, welchem die Gerichtsbarkeit über das betreffende Grundstück zusteht. Das Geschäft selbst gehört zu den Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (s.d.). 2) Ü. einer Festung, die Überlieferung einer Festung an den Feind in Folge einer Blockade od. Belagerung. Sie erfolgt auf Discretion, wo der Belagerer über Leben u. Eigenthum der Besatzung nach Belieben schalten kann, od. durch Kapitulation, s.u. Festungskrieg, S. 226.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 107.
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