Paul I.

[429] Paul I., von 1796–1801 Kaiser von Rußland, geb. 1754, war ein Sohn Peter III. und Katharina II. (s.d.) und eigentlich des Erstern rechtmäßiger Nachfolger. Bei den Russen beliebt, bei Lebzeiten seiner Mutter aber von jedem Antheil an Staatsgeschäften fern gehalten und mit Aufpassern umgeben, ließ er sich doch nicht einfallen, die Regierung an sich zu reißen und wies sogar Anträge dazu von sich. Sein Charakter, dem wohlwollende und [429] menschenfreundliche Züge keineswegs fremd waren, nahm aber unter dem Drucke der ihn beengenden Verhältnisse eine herbe Verschlossenheit und Bitterkeit an, welche mit seiner wachsenden Neigung zum Jähzorn ihn häufig zu gewaltsamen Handlungen hinrissen. Nachdem P. seine erste Gemahlin, eine Prinzessin von Hessen-Darmstadt, 1776 im Wochenbett verloren hatte, vermählte er sich zum andern Male mit der Prinzessin Dorothea Auguste Sophie von Würtemberg, welche beim Übertritt zur griech. Kirche den Namen Maria Feodorowna annahm und Mutter der Großfürsten Alexander, Konstantin, Nikolaus und Michael, der Großfürstinnen Alexandra (gest. 1801 als Gemahlin des Erzherzogs Joseph, Palatinus), Maria (Großherzogin von Weimar), Helena (gest. 1803 als Erbprinzessin von Mecklenburg-Schwerin), Katharina (die 1819 verstorbene Königin von Würtemberg) und Anna (Kronprinzessin der Niederlande) wurde. Eine Reise durch Polen, Deutschland, Italien, Frankreich und Holland, welche P. 1780 mit seiner Gemahlin antrat, brachte nur vorübergehende Abwechselung in sein thatenloses Leben auf dem Schlosse Gatschina, seinem gewöhnlichen Aufenthalte. Desto mehr Pläne wurden aber hier für die Zukunft entworfen und sobald P. 1796 zur Regierung gelangte, mit übereiltem Eifer ausgeführt. Er blieb nicht etwa blos bei Aufhebung von Übelständen stehen, sondern veränderte Großes wie Unerhebliches ohne Rücksicht auf Personen und Umstände und oft nur, weil es von der vorigen Regierung herrührte. Doch war in vielen seiner Handlungen auch tiefer Sinn, wie z.B. daß er mit der Leiche Katharina II. zugleich die seines Vaters feierlich beisetzen ließ, wobei die greifen Verschwörer Baratinsky und Alexis Orloff (s.d.) das Leichentuch halten mußten. Laut seiner Mutter Verfahren gegen Polen misbilligend, gab er den in russ. Gefangenschaft befindlichen Polen, dabei auch Kosciuszko die Freiheit, dem er noch ein Jahrgeld antrug; auch das alte Reichsgesetz ward wiederhergestellt, welches die Thronfolge nach der Erstgeburt in männlicher Linie festsetzte. Viele Unzufriedene machte P. I. aber durch Verminderung der Statthalterschaften und dadurch der Beamten, durch Einführung eines steifen Ceremoniels am Hofe, des Haarpuders und der Zöpfe und anderer lästiger Neuerungen beim Heere, durch das Verbot runder Hüte, der Pantalons und anderer Kleidermoden, die gleich den Kinnbärten unserer Tage des Republikanismus verdächtig waren, durch den Befehl, vor dem Kaiser auf der Straße aus dem Wagen zu steigen und andere ebenso lästige wie kleinliche Vorschriften. Gegen die gefürchtete und gehaßte franz. Revolution trat P. der zweiten Coalition bei und 100,000 Russen kämpften gegen die Franzosen in Italien und der Schweiz, sowie in Holland; selbst mit dem osman. Reiche verbündete sich P. wider Frankreich und die vereinte russ. und türk. Flotte bewirkte eine Landung in Neapel und half die Franzosen aus dem Kirchenstaate vertreiben. Kriegsunfälle aber, welche P der nachlässigen Unterstützung von Seiten seiner Bundesgenossen zuschrieb, erkalteten P.'s Eifer für den Krieg gegen Frankreich, ja Bonaparte, der ihm klug zu schmeicheln wußte, war nahe daran, ihn für dasselbe zu gewinnen, zumal als P., welcher die Würde eines Großmeisters der Malteser-oder Johanniterritter (s.d.) angenommen hatte, von England vergeblich die Rückgabe des eroberten Malta foderte. Im höchsten Grade darüber aufgebracht, foderte P. alle Könige zum Zweikampfe, die sich nicht wider England erklären würden, und schon war Beschlag auf engl. Schiffe in russ. Häfen gelegt und mit Schweden, Dänemark und Preußen eine bewaffnete Neutralität (s.d.) wider Englands Anmaßungen zur See errichtet, als P in der Nacht vom 23. März 1801 in seinem Schlafzimmer von einer Anzahl wider ihn verschworener russ. Höflinge über, fallen und als er sich weigerte, die ihm vorgelegte Erklärung seiner Unfähigkeit zur Regierung zu unterschreiben, umgebracht wurde. Den Großfürsten war glauben gemacht worden, daß ihre persönliche Freiheit bedroht und es wegen der an Wahnsinn grenzenden Gemüthsstimmung P.'s nothwendig sei, sich seiner Person zu versichern. Nach langem Bedenken hatte darauf Alexander eingewilligt, einstweilen die Regierung zu übernehmen, aber erklärt, daß er sie nach Herstellung seines Vaters demselben wieder abtreten werde, dessen gewaltsames Ende, welches jedoch einem Schlagflusse zugeschrieben wurde, jenen Vorsatz aber für immer aufhob. (S. Alexander I.)

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 429-430.
Lizenz:
Faksimiles:
429 | 430
Kategorien: