Wilhelm II. [2]

Wilhelm II. [2]

[731] Wilhelm II., seit 27. Febr. 1821 Kurfürst von Hessen und Großherzog von Fulda, geb. 28. Jul. 1777, ein Sohn Kurfürst Wilhelm's und einer Tochter König Friedrich V. von Dänemark, wurde mit besonderer Rücksicht auf den Kriegsdienst sehr streng erzogen, besuchte die Universitäten Marburg und Leipzig und vermählte sich 1797 mit einer Schwester König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, der Prinzessin Auguste, geb. 1780.

Die franz. Besitznahme von Hessen im J. 1806 führte ihn im Gefolge seines Vaters zuerst nach Schleswig, dann nach Prag, von wo er 1809 sich nach Berlin begab, 1813 im preuß. Heere mit ins Feld zog und nach der Schlacht bei Leipzig die Hessen im Namen seines Vaters wider Frankreich zu den Waffen rief. Im März 1814 trat er den Oberbefehl der zur Blockirung der Festungen Metz, Thionville, Luxemburg und Saarlouis beauftragten hess. Truppen an, den er aber 1815 nach der Rückkehr Napoleon's von Elba nicht wieder erhielt. Seinem Regierungsantritte im J. 1821 folgten mehre wesentliche Verbesserungen der von seinem verstorbenen Vater nach längst veralteten Regeln geführten Verwaltung und Rechtspflege. Allein da zur Vervollständigung der neuen Einrichtungen die erwartete und erbetene Versammlung der Landstände unterblieb und das Verhältniß zu seiner von ihm zur Gräfin Reichenbach (später auch von einer in Mähren für sie angekauften Herrschaft Gräfin Lessonitz) erhobenen Geliebten, der Frau Ortlopp, durch die von ihr nun beanspruchten Ehrenbezeigungen und den von ihr angemaßten Einfluß im Regierungswesen, sowol am Hofe als beim Volke und auch wegen der für die beliebte und geachtete Kurfürstin daraus erwachsenden Kränkung, allgemeinen Tadel erfuhr, so entstand eine zunehmende Unzufriedenheit. Diese ward durch die strengen Maßregeln gesteigert, welche ein dem Kurfürsten 1823 zugekommener Drohbrief hervorrief, in welchem sein und der Gräfin Reichenbach Leben bedroht wurde, wenn das Land nicht in Jahresfrist eine Verfassung haben und der Einfluß jener Gräfin beseitigt und des Kurfürsten Benehmen gegen seine Umgebung ein anderes geworden sein würde. Ohne die Sache aufzuklären, führten die umfänglichen Untersuchungen nur Entsetzung und mehrjährige Festungsstrafe für den damaligen Oberpoliceidirector von Manger herbei (dessen völlige Freisprechung aber 1841 vom obersten Gericht noch erfolgt ist) und der Kurfürst wurde nun vollends für unbefangenen Rath unzugänglich. Die Kurfürstin fand sich 1826 bewogen, nach Bonn, der Kurprinz nach Berlin zu gehen und bei der zunehmenden Willkür und Vorenthaltung gerichtlicher Hülfe selbst gegen gewaltsame [731] Eigenthumsverletzungen, brachen im Sept. 1830 zuerst in Kassel, dann in andern Orten des Landes Unruhen aus. Der gerade in Karlsbad abwesende Kurfürst kehrte von da mit dem Kurprinzen nach kurz vorher stattgehabter Aussöhnung am 12. Sept. nach Kassel zurück, die Gräfin Reichenbach aber blieb in Eisenach. Die vom Kurfürsten auf Ansuchen der Bürger, deren Wortführer vornehmlich der Küfer Herbold war, bewilligte Versammlung der Landstände führte zu der auf dem Wege des Vertrags zu Stande gebrachten neuen Verfassung, welche W. II. am 5. Jan. 1831 selbst unterzeichnete und am 8. Jan. den Ständen übergab. Die Kurfürstin war Tags vorher ebenfalls zurückgekehrt und mit dem allgemeinsten Enthusiasmus hatte man sie am 9. Jan. bei dem vom Magistrat und der Bürgergarde veranstalteten Fackelzuge mit dem Kurfürsten auf dem Balcon erscheinen und von ihm umarmen sehen. Um so leichter riß die am 11. Jan. bekannt werdende Ankunft der Gräfin Reichenbach die Menge hin, ihr verletztes Gefühl in drohenden Bewegungen an den Tag zu legen, welche die schleunige Abreise der Gräfin zur Folge hatten, welcher am Schlusse des versammelt gewesenen Landtags (10. März) der Kurfürst nach Hanau folgte. Weder mündliche noch schriftliche Gesuche und Vorstellungen wegen der Nothwendigkeit seiner Rückkehr an den Sitz der Regierung konnten ihn dazu bewegen, sondern führten vielmehr dahin, daß er seinen einzigen Sohn von seiner Gemahlin, den Kurprinzen Friedrich Wilhelm (s.d.), zum Mitregenten annahm und ihm 30. Sept. 1831 die alleinige Regierung bis dahin übertrug, wo er Kassel wieder zur bleibenden Residenz wählen werde. Der Kurfürst behielt sich jedoch sämmtliche, auf 350,000 Thlr. geschätzte Einkünfte des Hausschatzes und das Chatoullevermögen, sowie die Schlösser zu Hanau, Philippsruhe u. m. a. vor. Er lebte seitdem an den genannten Orten, in Frankfurt a. M., Baden, machte Reisen und hat sich nach dem im Frühjahre 1841 erfolgten Ableben der Kurfürstin, mit welcher er außer dem Kurprinzen, die Prinzessinnen Karoline, geb. 1799, und Marie, geb. 1804 und seit 1825 mit dem regierenden Herzoge Bernhard Erich Freund (s.d.) von Sachsen-Meiningen vermählt, gezeugt hat, am 8. Jul. 1841 auf einem Schlosse der Gräfin Reichenbach-Lessonitz bei Brünn, dieselbe in morganatischer Ehe antrauen lassen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 731-732.
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