Lehen

[730] Lehen, Lehenrecht (Feudalrecht. jus feudi). 1) Lehen (feudum), heißt das dingliche Rechtsverhältniß zwischen dem Obereigenthümer von Grundstücken und dem Vasallen, der dieselben zum Nutzeigenthum empfing, sowie das hiedurch unter ihnen begründete persönliche Verhältniß gegenseitiger Treue. Dem L. ähnliche Institute (Bauern-L., Erbleihe, Erbzinsgüter, [730] Colonat) nennt man feudastra od. L. im weitern Sinn. 2) Ursprünglich gab der König u.s.w. seinen Kriegsmannen als Lohn und Bedingung fortwährender Diensttreue (beneficia) erobertes Land zu L., bald auch für andere Dienste. z.B. Hof- und Amtsdienste; hernach gaben, weil die Vasallen Ansehen und Schutz genossen, Privatgutsbesitzer ihr freies Eigenthum dem König od. kirchlichen od. weltlichen Herrn, damit er ihnen dasselbe wieder als L. übertrage. Kaiser Konrad II. (1037) erklärte das L. für erblich und seit dem 12. Jahrh. ward es dasselbe allgemein. Auf dem L.verbande ruhte der mittelalterliche Staatsorganismus (Kriegsverfassung, Herrschaft, Gericht). Mit der Umgestaltung des Heerwesens (stehende Armeen) und Bildung der modernen Staaten verlor das L. recht seine öffentliche Bedeutung, allmälig auch die privatrechtliche, und die Kenntniß desselben dient mehr nur noch dazu, um die gegenwärtigen Eigenthumsverhältnisse aus ihrem geschichtlichen Ursprung zu erklären, indem was früher L. war, theils gegen theils ohne Entschädigung volles Eigenthum geworden ist. 3) Gegenstände des L.s sind Grundstücke, darauf haftende Rechte, Ausübungsbefugnisse (f. habitationis, aedificii, castri), Vogteirechte (f. advocatiae), Zehnten (f. decimarum). Aemter (Ambachts-L. f. officii), Hoheitsrechte, Renten von Grundstücken (f. de cavena, camera). endlich das L. recht selbst des Herrn oder Vasallen, das (von jenem Ob-, von diesem Subinfeudation) weiter verliehen werden konnte (After-L.). 4) Die Errichtung des L. geschieht durch Investitur (Belehnung. infeudatio), d.i. förmliche Handlung, durch welche der L.herr das dominium utile gegen Versprechen der L. treue überträgt, auf Grundlage des L.vertrags od. L.briefes (lex, literae investiturae), und durch Verjährung. d.h. 30jährige Ausübung der L. rechte. 5) Der Vasall verpflichtet sich bei der ersten Investitur u. deren Wiederholung durch den L.eid (Hulde, vassaticum, leudesamium, hominium, homagium, fidelitas) zur L.treue, d.h. den L.herrn (dominus, senior) mit Rath u. That gegen andere zu unterstützen, ihm Ritterdienste zu leisten oder was an deren Stelle im L.brief bestimmt ist (Zins-, Beutel-, Schulzen-, Klepper-L.), oder statt des L.dienstes Geldhilfe (adoha, hostenditium). Ritter steuern, Abgaben. Verletzung der L.treue heißt Felonie. Der L.herr hinwieder ist zum L.schutz (Protection) verpflichtet. L.streitigkeiten (causae feudales) gehören vors L.gericht (L.hof), das ursprünglich aus L.genossen des Vasallen (pares curiae) mit Vorsitz des L.herrn gebildet war, jetzt aber durch die ordentlichen Gerichte ersetzt ist. Der Vasall muß, wenn das L. von ihm in andere Hand übergeht (L.fall) oder die Person des L.herrn wechselt (Thronfall, Hauptfall), um L.erneuerung (renovatio investiturae) nachsuchen (L.muthung) binnen Jahr und Tag od. in bewilligter Frist (L.indult), wobei der Vasall in der Regel Gebühren an den L.herrn (L.waare, L.geld. Hand-, Anfallsgeld, laudemium) und an die L.kanzlei (L.taxe, Schreibschilling. laud. minus) zu entrichten hat. Der L.herr behält das dominium directum, welches sich in der Beschränkung der Verfügungen des Vasallen, in Dispositionen über die Sache ohne die Rechte desselben zu benachtheiligen, im Zurückfall des erledigten L. u. in der Weiterbelehnung äußert. Ohne Einwilligung des Vasallen kann der L.herr in der Regel seine L.herrlichkeit nicht an andere übertragen; wohl aber das L. auf den Fall der Eröffnung (L.apertur) zum voraus an einen Dritten übergeben (Eventualbelehnung) oder aber im Allgemeinen oder rücksichtlich auf ein bestimmtes L. für den Fall, daß eines frei werde, die Belehnung zusichern (L.exspectanz). Der Vasall übt mit seinem dominium utile alle Eigenthumsrechte aus, soweit die Sache dadurch nicht verschlechtert wird; er hat den Gebrauch u. Fruchtgenuß, alle petitorischen und possessorischen Rechtsmittel gegen Dritte und trägt alle öffentlichen und Privatlasten. Er kann das L. ohne Einwilligung des Herrn nicht veräußern, im Bewilligungsfalle haben in der Regel die nächsten Verwandten das Retractsrecht; Verpfändung gibt nur ein Recht sich aus den Früchten des L. bezahlt zu machen, dagegen kann er sein L. recht [731] weiter verleihen (After-L.). Im L.brief kann übrigens auch Veräußerlichkeit bestimmt werden. – Während der Unmündigkeit des Vasallen fiel früher das L. an den L.herrn, der dessen Vormund war, jetzt wählt zur Verwaltung der L.interessen der L.hof oder L.herr den Vormund. Eigentliche Schulden gehen auf die L.besitzer; der L.stamm (constitutum feudale). auf das L. gelegtes Kapital, ruht bald ganz auf dem L., bald nur hinsichtlich der Zinse. Im Concurs erhalten die L.gläubiger vor den Allodialgläubigern ihre Befriedigung aus der Substanz oder Früchten des L. 6) Das L. endigt durch Untergang der Sache, durch allseitig freie Auflösung, durch Felonie und dieser gleichkommende Verbrechen (parricidium, Verrath an Mitvasallen), durch Vereinigung des dominium utile mit dem Obereigenthum in der Person des L.herrn (Consolidation, Incameration, Incorporation) oder in der Person des Vasallen durch Erwerb des L. zu freiem Allodium (Appropriation) mittelst Allodifikation u. Verjährung. 7) Die L.erbfolge richtet sich nach der Investitur. Ausgeschlossen sind Ascendenten, Seitenverwandte in der Regel u. Ehegatten; es erben also die Descendenten, in Ermangelung die Seitenverwandten zuerst nach der Nähe der Linie, dann des Grades. L. folgefähig sind leibliche Abkömmlinge aus einer bürgerlich vollkommenen Ehe, also adoptirte, uneheliche od. Kinder aus Ehen zur linken Hand nicht; in der Regel nur Männer (Manns-L.), doch zufolge des L.briefes auch Weiber (f. femininum). Das L. wird bei der Theilung vom Erbe getrennt und es haben die Allodialerben keinen Anspruch darauf. – Das gemeine deutsche L.recht hat zu Quellen das langobardische L.recht (libri feudorum). Reichsgesetze, kanonisches und röm. Recht, in neuerer Zeit das deutsche Bundesrecht. Schriftsteller: Bocer, Helferich, Zepernik, Möller, Schilter, Zachariä, Runde, Buri, Hagemann, Böhmer, Jenichen, Schnaubert, Weber, Eichhorn.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 730-732.
Lizenz:
Faksimiles:
730 | 731 | 732
Kategorien: