Vega [2]

[587] Vega , Carpio, Lope de, eines der größten und merkwürdigsten poetischen Genies aller Zeiten, geb. 1562 zu Madrid, schon als Knabe voll poetischer Entwürfe, studirte früh verwaist auf Kosten eines anverwandten Geistlichen, wurde Secretär des Herzogs von Alba, mußte eines Duells wegen flüchten, zog mit der »unüberwindlichen Armada« u. wurde nach Madrid zurückgekehrt wiederum Secretär; nach dem Tode seiner 2. Gattin und eines Sohnes wurde er Priester, jedoch ohne seinem Dichterberufe zu entsagen, Vorstand des geistlichen Collegiums, in welches er sich zu Madrid hatte aufnehmen lassen, durch Papst Urban VIII. apostol. Kammerfiscal. V. st. am 26. Aug. 1635 u. hinterließ nur wenig Geld, weil seinem großartigen Erwerb eine unbegränzte Wohlthätigkeit zur Seite gestanden. Er ist der Vater der dramatischen Poesie Spaniens; er gab dem Schauspiel den Charakter einer dramatisirten Novelle, deren wesentlicher Bestandtheil die Verwicklung der Intrigue war und theilte es ein in geistliches u. weltliches; der Hauptgegenstand der geistlichen Schauspiele (comedias divinas) war ein Wunder, sie zerfielen weiter in Legenden (vidas de Santos) und Frohnleichnamsstücke (autos sacramentales). Den Kern der weltlichen Schauspiele machte irgend ein auffallendes Abenteuer aus, es waren näher historische Stücke, ihr Stoff meist der einheimischen Geschichte entnommen, oder heldenmäßige (comedias heroyeas) oder Mantel- und Degenstücke aus dem s. g. eleganten Leben (comedias de capa y espada), eigentliche Intriguenstücke, für die V. eine besondere Vorliebe hatte. Außerdem dichtete er Zwischenspiele (entremeses), meist begleitet von Musik und Tanz (saynetes), u. Vorspiele oder Empfehlungsstücke (loas). In all diesen Arten des Schauspiels war er ein Stern erster Größe. Mit einer unerschöpflichen Erfindungsgabe verband er eine unerhörte Fruchtbarkeit; er soll täglich im Durchschnitte 900 Zeilen geliefert haben und gewiß ist, daß er über 2000 Stücke hinterließ, von denen noch keine 300 gedruckt sein mögen u. nur wenige durch v. d. Malsburg, Soden, Dohrn u. Schack ins Deutsche übersetzt wurden (wir nennen nur: die Zinnen von Toro, das Landmädchen von Xetafe, die Wittwe von Valencia). Begreiflicherweise mußte der Dichter bei seiner Sehnsucht, dem Volke Neues darzubieten, die Regeln der Kunst manchmal unter Schloß und Riegel legen, die Theaterdirectoren drängten ihn so, daß er oft in weniger als einem halben Tage ein Stück zusammenschrieb, doch bei aller Flüchtigkeit offenbarte sich in jeder Arbeit das Genie, der Spanier, der Katholik, und wußte er den Geschmack und Ton seines Volkes so glücklich zu treffen, daß er der erklärte Liebling der Großen u. Kleinen blieb. V. war übrigens nicht nur Dramatiker, sondern versuchte sich fast in allen Dichtungsarten (ernste u. komische Heldengedichte, geistliche Gedichte, Episteln, Romanzen und Sonette, Prosaromane), am glücklichsten in der Schäferpoesie (pastores de Belen, Brüssel 1614; Arcadia, prosa y versos, Valencia 1602, Madrid 1654). Gesammtausgabe mit Ausnahme der Theaterstücke durch F. Cerda y Rico (Colleccion de las obras sueltas etc., Madr. 1776–1779 in 21 Quartbänden), umfassendste Ausgabe der Theaterstücke durch B. Grassa (Madr. y Zarag. 1604–1647) in 25 Quartbänden. Lebensbeschreibung von Lord Holland (Lond. 1817), dazu die »Studien« von Enk v. d. Burg (Wien 1839).

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 587.
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