Bernstein [4]

[724] Bernstein, 1) Aaron, Publizist und Volksschriftsteller, geb. 1812 in Danzig, gest. 12. Febr. 1884 in Berlin, jüdischer Abkunft, widmete sich in Berlin naturwissenschaftlich-philosophischen Studien. Mit dem gegen Bülow-Cummerow gerichteten politisch-statistischen anonymen Schriftchen »Zahlen frappieren« (Berl. 1843) begann er seine Teilnahme am öffentlichen Leben, wirkte seit 1845 für eine Reform des Judentums und gründete im März 1849 in Berlin die demokratische »Urwählerzeitung«, die, bald weit verbreitet. dem Herausgeber Preßprozesse und Gefängnisstrafen zuzog und schließlich unterdrückt wurde. Seit 1852 erschien das Blatt als »Volkszeitung« bei Franz Duncker. B. schrieb für sie jahrzehntelang die täglichen Leitartikel.[724] Seine populär-naturwissenschaftlichen Abhandlungen erschienen gesammelt als »Naturwissenschaftliche Volksbücher« (5. Aufl. von Potonié und Hennig, Berl. 1897–99, 21 Tle.). Auch seine politischen Aufsätze aus der neuesten preußischen Geschichte gab er besonders heraus u. d. T.: »Revolutions- und Reaktionsgeschichte Preußens und Deutschlands von den Märztagen bis zur neuesten Zeit« (Berl. 1883–1884, 3 Bde.) und schrieb realistische, dem jüdischen Kleinleben entnommene Novellen: »Vögele der Maggid« und »Mendel Gibbor« (das. 1860, 7. Aufl. 1892); ferner: »Ursprung der Sagen von Abraham, Isaak und Jakob« (das. 1871); »Naturkraft und Geisteswalten« (das. 1874, 2. Aufl. 1884) und »Natur und Kultur, Betrachtungen« (Leipz. 1879).

2) Julius, Physiolog, Sohn des vorigen, geb. 8. Dez. 1839 in Berlin, wurde 1869 Professor der Physiologie in Heidelberg, 1871 Professor der Medizin in Berlin, 1873 Professor der Physiologie in Halle. Er schrieb: »Untersuchungen über den Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsystem« (Heidelb. 1871), »Die fünf Sinne des Menschen« (2. Aufl., Leipz. 1889), »Lehrbuch der Physiologie« (Stuttg. 1894, 2. Aufl. 1900) und gibt »Untersuchungen aus dem physiologischen Institut in Halle« (Halle 1888 ff.) heraus.

3) Eduard, sozialdemokratischer Schriftsteller, geb. 6. Jan. 1850 in Berlin als Sohn eines Lokomotivführers, war 12 Jahre lang in Bankgeschäften tätig und schloß sich 1872 der sozialdemokratischen Partei (Eisenacher Programms) an. Seit 1878 war er Privatsekretär und Reisebegleiter R. Höchbergs (Herausgebers der sozialistischen Zeitschrift »Die Zukunft« etc.), 1881–90 Redakteur des »Sozialdemokrat«. 1888 wurde B. aus Zürich, wo er seinen Wohnsitz genommen hatte, ausgewiesen und lebte seitdem in London. Anfang 1901 kehrte er nach Deutschland zurück, siedelte sich in Großlichterfelde bei Berlin an und wurde 1902 in den deutschen Reichstag gewählt. Der sozialdemokratischen Partei gehört er trotz einer heftigen an seine Schrift »Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie« (Stuttg. 1899 u. öfter) sich anknüpfenden Polemik nach wie vor an. Außerdem schrieb er: »Gesellschaftliches und Privateigentum« (Berl. 1891); »Die kommunistischen und demokratisch-sozialistischen Bewegungen in England während des 17. Jahrhunderts« (im 1. Bande der »Geschichte des Sozialismus in Einzeldarstellungen«, Stuttg. 1895); »Zur Geschichte und Theorie des Sozialismus«, gesammelte Abhandlungen (Berl. 1900). B. veranstaltete auch eine Gesamtausgabe von F. Lassalles Reden und Schriften (Berl. 1891–93, 3 Bde.), ist Mitarbeiter der »Sozialistischen Monatshefte«, des »Archivs für soziale Gesetzgebung und Statistik« und des »Vorwärts« und Herausgeber der »Dokumente des Sozialismus« (das., seit 1901). Als Theoretiker versucht B. die Marxsche Lehre kritisch weiterzubilden und vertritt in der Arbeiterfrage eine realpolitische Haltung der Arbeiter.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 724-725.
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