Ingenieurwesen

[832] Ingenieurwesen (militärisch) bezeichnet das technische Gebiet, auf dem eine Spezialwaffe des Heeres tätig ist; früher meist, jetzt mitunter ist der Ausdruck »Genie« gebräuchlich. Schon seit alter Zeit wurde zu den bautechnischen Arbeiten auch das Belagerungswesen (Poliorketik) hierhin gerechnet, und technische Truppen hatten schon die Römer, fabri aerarii (Sappeure) und fabri lignarii (Zimmerleute). Sie bauten Kriegsmaschinen, Brücken etc. und waren einem dem Feldherrn zugeteilten Generalinspektor untergeordnet. Bis in das 16. Jahrh. war dann der Ingenieurdienst von dem der Artillerie nicht getrennt, in Spanien und Italien findet sich bei diesem Zusammenwirken zuerst die Bezeichnung ingenieros. In Deutschland hatte der Artillerieoberst Schanzbauern für Schanzen-, Wege- und Brückenbau zu stellen, die unter Schanz- und Brückenmeistern einem Schanzbauerhauptmann unterstanden. Ein Ingenieurkorps (s. d.) wurde zuerst 1603 von Sully gebildet. Er und später Vauban sorgten für dessen treffliche Ausbildung. Dem Zeitgebrauch entsprechend, bildete das I. anfangs wie die Büchsenmeister (s. d.) eine Zunft. Die Kriegsbaumeister, im Solde der Fürsten oder Städte, waren meist Bürger, die ihre Kunst in jedem Lande möglichst hoch zu verwerten suchten. Gustav Adolf bildete ein Korps von Feld- und Festungsingenieuren, das er mit dem Generalstab vereinigte, dessen Dienst im Feld in andern Heeren vielfach auch von Ingenieuren versehen wurde, wie Lager abstecken etc. An technischen Truppen errichteten Österreich Anfang des 17. Jahrh. Genie-, Frankreich 1679, Brandenburg 1690 Mineurtruppen. Ein Geniekorps wurde 1640 in Österreich gebildet, in Preußen faßte 1728 Friedrich Wilhelm I. seine Ingenieur- (Genie-)offiziere in einem Korps unter Walrawe, der sich als Festungsbaumeister einen Namen machte, zusammen; in Sachsen entstand ein Ingenieurkorps unter August II. Die große Bedeutung, welche die Militärtechnik nach dem Kriege 1870/71 gewonnen, nötigte im I. zu einer Teilung der Arbeit und führte zunächst zu einer Trennung des Pionier-von dem Festungsbauwesen, die fortgesetzte Ausdehnung des Eisenbahn-, Telegraphen- und Luftschifferwesens nötigte zu starker Vermehrung dieser technischen Truppen, die, in Deutschland unter dem Namen Verkehrstruppen zusammengefaßt, von dem I. abgetrennt wurden. In der Leitung des Festungskrieges zeigten die Kriegserfahrungen, daß derselbe durch einen besondern Festungsgeneralstab besser als früher vorbereitet werden müsse. Die Bildung eines solchen wurde zunächst von dem Ingenieurkorps in Anspruch genommen, und jetzt wird auch die Bildung eines Ingenieurstabes vorgeschlagen, dem jedoch Offiziere aller Waffen zugeführt werden sollen, die einen bezüglichen Kursus an der Kriegsakademie durchzumachen haben, während die Pionieroffiziere fortan die Vereinigte Artillerie- und Ingenieurschule nur ein Jahr besuchen werden. Für die Ausbildung in der Technik wurde 1903 die Militärtechnische Hochschule in Charlottenburg gegründet. Auch in andern Heeren hat man begonnen, die technischen Truppen zu vermehren und das I. umzugestalten, jedoch in verschiedener Weise (vgl. die Abschnitte über Heerwesen bei den einzelnen Staaten). Die zu dem I. in Beziehung stehenden Bildungsanstalten sind beim Heerwesen der einzelnen Staaten ausgeführt und in Einzelartikeln (s. Ingenieurschulen) behandelt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 832.
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