Jičín

[255] Jičín (spr. jitschīn, in deutscher Schreibart Gitschin), Stadt in Böhmen, 276 m ü. M., an der Cidlina und den Linien Wostroměř-J. der Österreichischen Nordwestbahn, Nimburg-J. der böhmischen Kommerzialbahnen und J.-Turnau der Staatsbahnen gelegen, Sitz einer Bezirkshauptmannschaft, eines Kreisgerichts und einer Finanzbezirksdirektion, besteht aus der Alt- und Neustadt und drei Vorstädten, hat eine schöne Dechanteikirche aus dem 17. Jahrh., ein von Wallenstein 1630 erbautes, jetzt fürstlich Trauttmansdorffsches Schloß, ein ehemaliges Jesuitenkollegium (jetzt Amtsgebäude und Kaserne), ein Obergymnasium, eine Oberrealschule, eine Lehrerbildungsanstalt, eine Zuckerfabrik, Maschinenschlosserei, Getreidehandel und (1900) 9759 meist tschech. Einwohner. Es war einst die Residenz des Herzogs von Friedland. Von der ehemaligen Befestigung ist nur das Walditzer Tor übriggeblieben. Bemerkenswerte Punkte in der romantischen Umgebung von J. sind der einst befestigte Basaltberg Welisch, die Prachower Sandsteinfelsen, die Ruinen Bradletz und Kumburg und das ehemalige Kartäuserkloster (jetzt Strafanstalt) in Karthaus-Walditz (981 Einw.), das früher die Grabstätte Wallensteins war (seit 1785 in Münchengrätz). – Hier fand 29. Juni 1866 ein wichtiges Gefecht zwischen den Österreichern und Preußen statt. Am Vortage hatten der Kronprinz von Sachsen und der General Clam-Gallas eine vorteilhafte Höhenstellung bei J. eingenommen, in der Erwartung, daß das Hauptheer unter Benedek am 30. hierher nachrücken werde, um eine Schlacht zu schlagen. Am 29. Juni früh erließ auf eine Mahnung Moltkes hin, der das Plateau von J. von Anbeginn des Krieges als Vereinigungspunkt für die preußische Armee ins Auge gefaßt hatte, Prinz Friedrich Karl den Befehl, wonach auf der von Turnau nach J. ziehenden Straße zwei Divisionen des 3. Korps unter General Tümpling und Herwarth, auf der von Podol nach J. die Divisionen Werder und Fransecky vorrücken und J. nehmen sollten. Die letztere Straße hatte die Brigade Ringelsheim zu verteidigen, und hier kam es bei Unterlochow zum Kampfe, der nach tapferm Angriff von seiten der Österreicher schließlich infolge der Befehle aus J. mit einem Verlust von 600 Toten aufgegeben wurde. Auf der Turnauer Straße entwickelte sich der Hauptkampf, und bis 7 Uhr abends hielten sich die Österreicher tapfer. Da erhielt der Kronprinz eine verspätete Botschaft Benedeks, daß der Vormarsch des Hauptheers gegen J. aufgegeben sei und der Kronprinz unter Vermeidung jeden Gefechts die Vereinigung mit der Hauptarmee beschleunigen solle. Das veranlaßte die Feldherren, den Kampf abbrechen zu lassen; doch verwandelte sich der Rückzug alsbald in eine schwere Niederlage, besonders als die Division Werder gegen 10 Uhr nachts auch in J. eindrang und die Austrosachsen noch in der Nacht aus J. sich zurückziehen mußten. Das Gefecht kostete den Österreichern und Sachsen 5500 Mann, darunter 2000 Gefangene; die Preußen verloren 1550 Mann Tote und Verwundete. Der Sieg sicherte die Vereinigung der ersten Armee unter Prinz Friedrich Karl mit der zweiten Armee unter dem Kronprinzen; die Truppen von Clam-Gallas waren nach dieser Niederlage völlig unfähig zu weiterm Widerstand. Am 2. Juli nahm König Wilhelm von Preußen sein Hauptquartier in J. und übernahm den Oberbefehl über sämtliche Truppen. Hier wurde um Mitternacht, auf die Meldung des Prinzen Friedrich Karl hin, Kriegsrat gehalten und der Plan zur Schlacht bei Königgrätz (3. Juli) entworfen. Vgl. Friedjung, Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859–1866, Bd. 1 (6. Aufl., Stuttg. 1904); Regensberg, Gitschin (das. 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 255.
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