Königgrätz

[382] Königgrätz (tschech. Hradec Králové, »Königingrätz«), Stadt in Böhmen, 244 m ü. M., an der Mündung der Adler in die Elbe, an den Linien Pardubitz-Seidenberg der Süd-Norddeutschen Verbindungsbahn, Chlumetz-Mittelwalde der Österreichischen Nordwestbahn und K.-Wostroměř der böhmischen Kommerzialbahnen gelegen, Sitz eines Bischofs, einer Bezirkshauptmannschaft, eines Kreisgerichts und einer Finanzbezirksdirektion, hat eine gotische Kathedrale aus dem 14. Jahrh., eine bischöfliche Residenz mit Bibliothek, ein Obergymnasium, Lehrerbildungsanstalt, Oberrealschule, Handelsakademie, Fachschule für Kunstschlosserei, eine theologische Diözesanlehranstalt, ein Knabenseminar, Museum, Taubstummeninstitut, eine Musikinstrumentenfabrik, zwei Klavier- und Orgelfabriken, eine Dachpappen- und eine Seifenfabrik, eine Bierbrauerei, eine Filiale der Österreichisch-Ungarischen Bank, eine Sparkasse und (1900) 9767 meist tschech. Einwohner (2256 Militärpersonen). Die Stadt war bis 1884 Festung. Südwestlich liegt Kuklena (mit Maschinenfabrik, Gerberei, Zuckerfabrik und 2912 Einw.), südöstlich Neu-Königgrätz (2685 Einw.). – K., eine alte Ansiedelung, unter König Przemysl Ottokar I. zur Stadt erhoben, wurde 1363 der Königin Elisabeth als Witwensitz zugeteilt, von welcher Zeit an der Ort den Namen K. statt des bisherigen Hradec (Grätz) erhielt. K. litt viel im Hussitenkrieg (1424 wurde Ziska hier begraben) sowie im Dreißigjährigen Krieg und in den Kriegen unter Friedrich II. 1765 wurde mit den Festungsbauten begonnen, die erst 1893 vom Ärar der Stadt verkauft und von dieser geschleift wurden.

Nach K. wird in der preußischen Kriegsgeschichte die entscheidende Schlacht des Preußisch-deutschen Kriegs (s. d.) 3. Juli 1866 benannt, die vielfach (namentlich von französischer Seite) auch als die von Sadowa (s. d.) bezeichnet wird, mit Unrecht, da bei diesem Dorf weder das Hauptquartier des Siegers war, noch die Entscheidung fiel. Eher könnte Chlum Anspruch darauf erheben, die Schlacht mit seinem Namen zu bezeichnen. Nach den unglücklichen Gefechten bei Nachod, Trautenau und Jičin (27.–29. Juni) verlegte Benedek das Hauptquartier von Dubenetz nach dem südlicher gelegenen K. und ließ das Heer nordwestlich auf den Höhen von Chlum und Lipa lagern, um ebenso für einen gesicherten Rückzug über Pardubitz nach Mähren, als für das Wagnis einer Schlacht Vorsorge zu treffen. Am Vormittag des 2. Juli entschloß er sich zu letzterm. Das Schlachtfeld und die österreichische Ausstellung waren nicht ungünstig. Zwischen dem rechten Ufer der Elbe und der Bistritz zu beiden Seiten der Straße von Hořitz nach K. erhebt sich das Terrain stufenförmig in zahlreichen Hügeln, die durch flache, mit Gehölz und Dörfern besetzte Mulden getrennt werden und bei Chlum, von wo die ganze Gegend übersehen werden kann, ihre höchste Höhe erreichen. Die Artillerie hatte vortreffliche Positionen (überdies waren die Distanzen genau bezeichnet worden), die Infanterie gute Deckungen, die noch durch Verhaue gesichert waren. Doch war die Ausstellung der Österreicher von Sadowa auf beiden Flügeln bis zur Elbe bei Trotina und Kuklena so weit zurückgebogen, daß sie eine feindliche Umfassung der Flanken erleichterte; auch war es ein Nachteil, daß die Elbe im Rücken war. Im Zentrum bei Lipa standen das 3. und 10., in der Reserve das 1. und 6. Korps; die zurückgebogenen Flügel bildeten rechts das 4. und 2., links die Sachsen und das 8. Korps; im ganzen 215,000 Mann mit 770 Geschützen, wovon allerdings an die 47,000 Mann Infanterie, 11,400 Reiter und 320 Geschütze in der Reserve standen. Auf preußischer Seite standen die erste Armee (2., 3., 4. Korps) in Hořitz, die Elbarmee (7. und 8. Korps) bei Smidar, die zweite (Garde, 1., 5. und 6. Korps) bei Königinhof,[382] im ganzen 221,000 Mann. Man erwartete, den Feind, wenn überhaupt, erst jenseit der Elbe zu einer Entscheidungsschlacht bereit zu finden. König Wilhelm, der am 2. Juli in Jičin eingetroffen war und den Oberbefehl übernommen hatte, befahl deshalb nach einer Unterredung mit dem Prinzen Friedrich Karl, daß den stark angestrengten Truppen ein paar Ruhetage gegönnt würden, und beschloß, sich selbst für den 3. Juli nach Königinhof zum Kronprinze zu begeben.

Karte zur Schlacht bei Königgrätz (3. Juli 1866).
Karte zur Schlacht bei Königgrätz (3. Juli 1866).

Als aber im Lauf und am Abend des 2. von den Vorposten der ersten Armee Meldungen einliefen, daß an und jenseit der Bistritz starke feindliche Truppenmassen aufgestellt seien, befahl der König nach einem Kriegsrat den Angriff auf dieselben: die erste und die Elbarmee sollten mit Tagesanbruch angreifen, die sofort benachrichtigte zweite Armee von Königinhof aufbrechen und sobald wie möglich von Norden her dem Feind in die rechte Flanke fallen. Prinz Friedrich Karl, im Glauben, nur drei österreichische Korps und die Sachsen vor sich zu haben, beschloß, bei Sadowa die Bistritz zu forcieren, die Höhe von Lipa zu erstürmen und das feindliche Zentrum zu durchbrechen, während die Elbarmee von Nechanitz aus einen Stoß auf den feindlichen linken Flügel ausführen sollte. Am 3. Juli gegen 8 Uhr früh begann der Angriff, den der König selbst von der Höhe von Dub leitete, und verlief anfangs ganz der Erwartung gemäß. Die erste Armee, in drei Kolonnen vorgehend (das 3. Korps blieb in Reserve), forcierte die Bistritz; der rechte Flügel (3. Division) besetzte Dohalitzka und Mokrovous, das Zentrum (4. und 8. Division) Sadowa und das Sadowagehölz; der linke Flügel (7. Division) drang über Benatek in den Swiepwald vor, die Elbarmee eroberte Nechanitz. Schon um 10 Uhr waren diese Erfolge errungen. Aber alle weitern Angriffe auf die Höhen von Lipa und Problus scheiterten. Die österreichischen Stellungen waren zur Verteidigung vortrefflich eingerichtet, die Stärke des Feindes viel beträchtlicher, als man geglaubt; vor allem war seine Artillerie überlegen. Gegen die 200 gezogenen Geschütze der Österreicher, die nach und nach um Lipa auffuhren und die vorher abgemessenen Ziele mit einem wütenden Schnellfeuer beschossen, konnte die preußische Artillerie, die diesseit der Bistritz in ungedeckter Stellung auffuhr, zum Teil noch aus glatten Geschützen bestand und bei dem trüben, regnerischen Wetter die Position und Distanz der feindlichen Batterien nur schwer unterscheiden konnte, nicht aufkommen[383] und sie auch nicht hindern, die preußische Infanterie mit einem Hagel von Granaten zu überschütten. Die Bedrängnis der ersten Armee, deren letzte Reserve, das 3. Korps, der Befehlshaber vorzuschicken zögerte, wurde von den Österreichern bemerkt, die vor allem den in der Luft schwebenden linken feindlichen Flügel, die 7. Division im Swiepwald, zu vernichten beschlossen, um dem Zentrum in die Flanke zu kommen. In ihrem Siegeseifer verwendeten sie dazu fast ihren ganzen rechten Flügel, das 4. und 2. Korps, das eigentlich von Benedek dazu bestimmt war, sich dem vom Norden heranziehenden Kronprinzen entgegenzustellen und ihn aufzuhalten, bis der Kampf im Zentrum entschieden war und nur durch eine unverantwortliche Eigenmächtigkeit der Generale, der Grafen Festetics und Thun, von seiner eigentlichen Aufgabe abgelenkt wurde. Die 7. Division geriet zwar durch die unaufhörlich wiederholten Angriffe und das furchtbare Artilleriefeuer in die größte Gefahr und erlitt bedeutende Verluste; indes sie behauptete sich im Wald, und im Moment der höchsten Not, als sie mit den letzten, fast erschöpften Kräften einem neuen allgemeinen Angriff entgegenzutreten sich anschickte, kam die ersehnte Hilfe durch das Eingreifen der Armee des Kronprinzen, die rechtzeitig den Befehl des Königs erhalten, sogleich den Marsch angetreten und mit ihren Spitzen, das Gardekorps in der Mitte, das 6. links, das 1. rechts, das 5. in der Reserve, um Mittag die nördliche Grenze des Schlachtfeldes erreicht hatte. Die durch den Kampf im Swiepwald ermatteten Truppen des österreichischen 2. und 4. Armeekorps mußten nun von der Division Fransecky ablassen, um die Linie Chlum-Nedielischt gegen den Kronprinzen zu decken, da Benedek gezögert hatte, dahin einen Teil seiner starken Reserven vorzuschieben. Doch die Österreicher kamen zu spät. Schon um 1 Uhr waren die vordersten Stellungen des Feindes genommen, und während das 6. Korps die Elbe abwärts bis Nedielischt und Lochenitz vordrang, nahm die 1. Gardedivision gegen 3 Uhr im ersten Anlauf das durch den Angriff der Österreicher auf den Swiepwald fast ganz entblößte Chlum, den Schlüsselpunkt der Stellung, sowie das noch weiter rückwärts gelegene Rosbeřitz, die 2. Gardedivision Lipa und Langenhof. Während das 2. österreichische Korps unter Graf Thun, ohne Widerstand zu wagen, an die Elbe zurückwich, das 4. unter Molinary, dem Adlatus des schon am Morgen schwer verwundeten Grafen Festetics, bereits fast aufgerieben war, machten die Reservekorps, das 6. und 1., Versuche, die verlornen Positionen wiederzuerobern. Aus Rosbeřitz wurden auch die Preußen herausgeworfen, Chlum indes behauptete die Garde und eroberte auch Rosbeřitz wieder mit Hilfe des 6. und 1. Korps. Zu gleicher Zeit befahl der König ein Vorgehen auf der ganzen Linie, vor dem die Infanterie der Österreicher, durch das Zündnadelgewehrfeuer furchtbar dezimiert, teilweise in völliger Auflösung an und über die Elbe zurückwich. Nur die Artillerie behauptete überall mit aufopfernder Tapferkeit ihre Stellungen bis zum letzten Augenblick und gab ihre Geschütze preis, um den Rückzug zu decken. Auch die Reiterei lieferte der preußischen bei Langenhof glänzende Gefechte, die freilich das Schicksal des Tages nur kurze Zeit aufhalten konnten. Der Rückzug der österreichischen Armee artete schließlich in völlige Panik aus, doch konnte an eine Verfolgung außer durch die Artillerie nicht gedacht werden; die Elbarmee, die sie ausführen sollte, war dazu zu schwach. Der Rückzug der Österreicher auf Pardubitz blieb also unbehelligt. Die Verluste der siegreichen Armee beliefen sich auf 360 Offiziere, 8812 Mann an Toten und Verwundeten; die Österreicher verloren 5 Fahnen, 160 Geschütze, 330 Offiziere und 5328 Mann an Toten, 43 Offiziere und 7367 an Vermißten, die wohl den im Felde Gefallenen zuzurechnen sind. 738 Offiziere und 16,127 Mann waren verwundet, von denen die größere Hälfte in Gefangenschaft geriet, ebenso 202 Offiziere und 12,677 Mann unverwundet. Die Sachsen verloren an Toten, Verwundeten und Gefangenen 58 Offiziere und 1523 Mann. Der Eindruck der Schlacht bei Freund und Feind in ganz Europa war ein ungeheurer; am Tuilerienhof rief sie die »angoisses patriotiques de Sadowa« hervor. Vgl. außer den preußischen (»Der Feldzug von 1866 in Deutschland«, Berl. 1867) und österreichischen (»Österreichs Kämpfe im Jahr 1866«, Wien 1867–69, 5 Bde.) Generalstabsberichten: Jähns, Die Schlacht von K. (Leipz. 1876); v. Schleinitz-, Vergleichende Betrachtungen über die Schlachten von Belle-Alliance und K. (Berl. 1876); Friedjung, Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859–1866, Bd. 2 (6. Aufl., Stuttg. 1905); Strobl, Königgrätz (Wien 1903; mit 38 Skizzen); Bonnal, Sadowa. Étude de stratégie et de tactique générale (Par. 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 382-384.
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