Juwelīerkunst

[401] Juwelīerkunst, ein Zweig der Goldschmiedekunst, datiert von der Erfindung des Schleifens der Edelsteine, vornehmlich des Diamanten, durch Ludwig van Berquen um 1456. Diese Erfindung hatte die Folge, daß man das »Feuer«, das wechselnde Farbenspiel, des Diamanten viel höher schätzte als die natürl i che Farbe der Steine. Zwar hatte man schon in ältester Zeit Edelsteine gefaßt, um sie als Schmuck zu verwenden, allein man unterschied nicht streng zwischen natürlichen Steinen und Glasfluß. Bis in das Mittelalter fand man einen Hauptreiz in der Zusammenstellung verschiedenfarbiger Steine. Den Griechen und griechisch gebildeten Römern war der Edel- und Halbedelstein das vorzüglichste Material für den Gemmen- und Kameenschnitt, und wenn auch die Färbung oder die Seltenheit den Wert eines Ringsteines erhöhte, so wurde dieser doch vor allem in der Arbeit des Künstlers gesucht. Die kostbarsten Kleinodien des Altertums waren Intaglien, und Plinius sagt ausdrücklich, die Edelsteine seien dazu da, mit Zeichen (Schriftzügen, Sinnbildern etc.) versehen zu werden; allein er rügt auch bereits, daß seine Zeit anfange, auf die Steine selbst einen ungebührlichen Wert zu legen. Die Kleinodien und die Kostümbilder aus dem Mittelalter zeigen in den Kronen, Agraffen, an Rüstungen, Büchereinbänden etc. die Edelsteine nur geglättet und wesentlich in ihrer natürlichen Gestalt, ferner in Verbindung mit Email, Filigran etc. Den ersten Diamantschmuck in Frankreich soll Agnes Sorel (gest. 1450) besessen haben. Von jener Zeit an erlangte das Fassen, Aufbringen, Tingieren der Edelsteine eine höhere Bedeutung. Zur Zeit Cellinis, der dazu genaue Anweisungen gibt, war es bereits allgemein gebräuchlich, den Edelsteinen (zu denen er nur Rubin-Feuer, Diamant-Wasser, Saphir-Luft, Smaragd-Erde und bedingungsweise Topas-Sonnenlicht rechnet) Folie zu geben. Dagegen war die Anwendung einer Tinktur auf der Unterseite des Steines nur bei den Diamanten gestattet, bei den übrigen Steinen galt es ebenso als Fälschung wie das namentlich in Mailand betriebene Dublieren. In Deutschland erreichte die J. in der Zusammenstellung von farbigen Steinen, Perlen und Email ihren Höhepunkt im 16. Jahrh. Durch das Vorwiegen des Diamanten und zumal seit Einführung des Brillantschliffs im 17. Jahrh. geschah eine Umwälzung im Geschmack, die für die J. verhängnisvoll werden sollte. Das unruhige Gefunkel des facettierten Steines ordnet sich in kein künstlerisches Ensemble ein, zerstört in der Zusammenstellung mit andern Steinen deren Wirkung, uno so ging allmählich auch der Sinn für künstlerischen Schmuck überhaupt verloren. Kleine Steine verschiedener Färbung und Perlen wurden im 18. Jahrh. noch zur Umrahmung von Medaillons u. dgl. verwendet (Rokokoschmuck); vorwiegend aber suchte man ein Gleichgewicht gegen den Diamanten in der Zusammenstellung großer Edelsteine von durchaus gleicher Farbe zu Einem Schmuck oder in der Häufung vieler kleiner gleicher Steine auf Einem Stück in der Art, daß das Ganze ungefähr einem einzigen, zu unzähligen Facetten geschliffenen Stein glich. Eine heilsame Reaktion gegen den farblosen Schmuck begann erst mit der allgemeinen Reform des Kunstgewerbes seit dem Beginn der 70er Jahre des 19. Jahrh., wobei man auf die farbigen Renaissancemuster des 16. Jahrh. zurückgriff. Eine reiche Sammlung von solchen Mustern enthält das Werk von F. Luthmer: »Der Goldschmuck der Renaissance« (Berl. 1880). Auch die moderne Bewegung in der J. hat an der Farbigkeit der Schmucksachen festgehalten. Als Kuriosität ist zu erwähnen, daß in der ersten französischen Revolution Bijoux de la Révolution, gefaßte Stücke Stein von der Bastille, als Schmuck getragen wurden. Vgl. die Artikel »Bijouterien«, »Edelsteine« und »Goldschmiedekunst«, wo auch die Literatur verzeichnet ist, und Tafel »Schmucksachen I-III«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 401.
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