Naturschönheit

[458] Naturschönheit, der unser ästhetisches Gefühl befriedigende Eindruck, der durch Naturgegenstände hervorgerufen wird. Derselbe kann durch einzelne Naturkörper (Pflanzen, Tiere und deren Erzeugnisse, Kristalle) oder durch Vereinigungen solcher (Sternenhimmel, Meer, Landschaften) oder auch durch vorübergehende Erscheinungen (Sonnen- Auf- und -Untergang,[458] Beleuchtungswechsel, Mondlicht, Gewitter) erzeugt werden. Versteht man unter N. in der Regel nur die auf unser Auge wirkenden Eindrücke, so wirkt die Natur doch auch in anderm Sinne (Gesang der Vögel, Duft der Blüten, Geschmack der Früchte etc.) in ästhetisch befriedigender Weise ein. Die Empfänglichkeit für N., die nicht zu allen Zeiten gleich entwickelt war (s. Naturgefühl), kann gesteigert werden durch die Einsicht in die Gesetzmäßigkeit der Natur. Mannigfach ist der Einfluß der N. auf die Kunsterzeugnisse des Menschen gewesen. Abgesehen von der direkten Nachbildung schöner Landschaften und Körperformen in der Malerei, haben die Naturformen namentlich der Architektur, der dekorativen Kunst und dem Kunstgewerbe zahlreiche Vorbilder geliefert. Wie das Gefühl für N. im Individuum erst spät erwacht, so hat sich dasselbe auch erst allmählich bei den Kulturvölkern entwickelt. Dem naiven Naturmenschen, dessen ganzes Leben in enger Berührung mit der Natur verläuft, liegt eine ästhetische Betrachtung derselben fern. Die Homerischen Gedichte lassen scharfe Naturbeobachtung, aber kein bewußtes Empfinden der N. erkennen. Dem Menschen, der noch um seine Existenz mit der Natur ringt, tritt diese oft als feindliche Gewalt entgegen und führt ihn zur Annahme einer feindlichen Dämonenwelt. In der späten Zeit des Altertums fehlt es nicht an Zeichen stärkern Naturgefühls; namentlich preisen die Dichter die Stille des Landlebens, die Fruchtbarkeit der Felder, die Kühle der Bachtäler. Dagegen ist die Vorliebe für die wildern und großartigern Naturszenerien erst eine Errungenschaft der neuern Zeit. Ein Mann von so ausgesprochenem ästhetischen Verständnis wie Winckelmann reiste nachts durch die Alpen, um möglichst wenig von ihnen zu sehen. Erst um die Wende des 18. Jahrh., als Rousseaus Schriften weite Verbreitung fanden, als Goethe seine italienische Reise und Humboldt seine Reiie in das Orinokogebiet unternahm, begann die Empfindung für die eigenartige Schönheit der Gebirgswelt Eingang zu finden. Die Reiseschilderungen Humboldts, die poetischen Naturschilderungen der Romantiker, die Befreiung der Landschaftsmalerei aus den Fesseln des stilisierenden Klassizismus sind Zeugnisse für das Erwachen eines stärkern, bewußten Naturempfindens, und sie erweckten wiederum in weiten Kreisen den Sinn für die im Urwald und in der Steppe, im brandenden Meer und im felsigen Hochgebirge sich darbietenden Schönheiten. Vgl. Hallier, Ästhetik der Natur (Stuttg. 1890); C. Sterne (E. Krause), Natur und Kunst (Berl. 1891); Kralik, Weltschönheit (Wien 1894); Lubbock, The beauties of nature (5. Ausg., Lond. 1893; deutsch, Basel 1900); Brunner v. Wattenwyl, Betrachtungen über die Farbenpracht der Insekten (Leipz. 1897); Seder, Das Tier in der dekorativen Kunst (Wien 1896, 14 Tafeln); Haeckel, Kunst formen der Natur (Leipz. 1899–1904, 100 Tafeln); Gerlach, Die Pflanze in Kunst und Gewerbe (Wien 1886–1889, 200 Tafeln).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 458-459.
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