Murawiew

[559] Murawiew, Fürsten von M., alte russische Bojarenfamilie, welche Anfangs im Moskauischen, seit dem 15. Jahrh. im Nowgorodschen ansässig ist. 1) Nikolai Jerofejewitsch, Capitän des Geniecorps, leitete unter Katharina II. die topographischen Arbeiten in Rußland, wurde zuletzt Generallieutenant u. Gouverneur von Livland u. st. 1779 in Montpellier; er schr.: Natschalnyja osnowanija matematiki, worin die Anfangsgründe der Algebra zuerst russisch abgehandelt wurden. 2) Fürst Michael, geb. 1757 in Smolensk, wurde von der Kaiserin Katharina zum Gouverneur der Großfürsten Alexander u. Constantin ernannt, 1796 Curator der Universität Moskau, 1802 Senator von Rußland u. 1804 Staatsrath im Ministerium der Aufklärung; er st. 1807 u. schr. Opyty istorii, slowesnosti i nrawo utschenla, herausgegeben von Karamsin, Mosk. 1810, 3 Bde.; Emiliewy pisma, Petersb. 1815. 3) Nikolai, Sohn von M. 1), geb. 1768 in Riga, studirte bis 1788 in Strasburg, war nach seiner Rückkehr in sein Vaterland erst Marineoffizier, trat 1796 zum Landheer, machte die Feldzüge bis 1814 mit u. stiftete bei Moskau eine Privatmilitärakademie, welche 1816 eine kaiserliche Anstalt wurde, er leitete sie bis 1823, worauf er sich dann der Landwirthschaft widmete, u. st. 1840 in Moskau. 4) Nikolai, Fürst M., Sohn des Vorigen, geb. 1793, trat 1810 in die russische Armee, wurde dann Capitän im Generalstabe, diente einige Jahre im Kaukasus u. erhielt 1819 vom General Yermolow eine Mission nach Khiwa, über dessen noch unerforschte Verhältnisse er durch seine Beschreibung der Reise (Puteschestwie w' Turkmenju i Chiwa, Petersb. 1822, deutsch von Klaproth), viel Licht verbreitete. Im darauf folgenden persischen Kriege stieg er zum Generalmajor auf, zeichnete sich im Generalstabe 1828 vor Kars u. Achalzik, 1829 bei Kalila u. Milli-Djus aus u. erhielt 1830 das Commando der lithauischen Grenadierbrigade, mit welcher er zum Siege des Baron Kreuz über Sierawsky bei Kazimierz wesentlich beitrug; hierfür wurde er zum Generallieutenant erhoben. Beim Sturme von Warschau befehligte er den rechten Flügel u. erstürmte die Befestigungen von Rakowiec. Ende 1832 ging er als außerordentlicher Bevollmächtigter nach Ägypten, um Mehemed Ali zur Einstellung der Feindseligkeiten zu bewegen, commandirte dann die am Bosporus gelandeten russischen Truppen u. wurde 1835 Befehlshaber des 5. Infanteriecorps. Wegen des von Kaiser Nikolaus bei Gelegenheit der Befestigungsarbeiten von Sebastopol angetroffenen verwilderten Zustandes seines Corps in Ungnade gefallen u. vom Commando enthoben, lebte er dann mehre Jahre in Moskau, u. zwar als einer der Koryphäen der altrussischen Partei, u. fand erst 1848 wieder Verwendung im Dienste, wurde Mitglied des Militärconseils, dann Chef des Grenadiercorps u. 1855 an die Spitze der abgesonderten kaukasischen Armee gestellt, wo er Kars (s.d.) eroberte. 5) Michael, Bruder des Vor., geb. 1795, zeichnete sich als Mathematiker aus, unterrichte an der Akademie seines Vaters, wurde Generalgouverneur von Grodno, dann von Kursk, 1842 Oberdirector der Civilingenieure, General, 1850 Mitglied des Reichsrathes, Präsident des Departements der Apanagen u. im April 1857 zugleich Minister der Reichsdomänen. Er übersetzte Garniers Geometrie analytique ins Russische. 6) Andréi, Bruder des Vorigen, Staatsrath u. Mitglied der Verwaltung des Heiligen Synod; er machte seit 1830 mehre Reisen u. schr.: Puteschestwija k' Swjatym Mjestam w' Ötetschestwe, 3 Bde., 1837–47; Rimskija pisma, 2 Bde., 1846; Pisma s' Wostoka, 2 Bde., 1851, welche durch glänzenden Styl u. einen eigenthümlich schwärmerischen religiös-poetischen Ton in Rußland die allseitigste Anerkennung gefunden haben. Auch seine Arbeiten von streng theologischem Inhalt nehmen eine vorzügliche Stelle in der Russischen Literatur ein, so Pisma o Bogoslujenii Wostotschnoi Zerkwi, Petersb. 1836; 4. Aufl. 1842; Jslojenie Simwola Wjery Prawoslawnoi Zerkwi, 1841; 2. Aufl. 1845; Pisma o spasenii Mira Synom Bojim, 1844); Geschichte von Jerusalem, 1844, 2 Bde.; Biblische Geschichte, 1842; Geschichte der ersten vier Jahrhunderte des Christenthums, 1842; Geschichte der Russischen Kirche, 3. A. 1845; Grusien u. Armenien, 1848; Pascha w' Kiewe, 1846; Swjatya Gory i Optina Pustyn, 1852, etc.; das Trauerspiel Bitwa pri Tiweriade, 1832, u. die dramatische Skizze Dante, 1841. 7) Artamon, Fürst M., Obrist eines Husarenregiments, war in die Verschwörung von 1825 verwickelt u. wurde nach der Entdeckung nach Sibirien verbannt. 8) Alexander, Bruder des Vor., blieb dem Kaiser 1825 treu, wurde 1829 General, führte 1831 im Russisch-polnischen Kriege die Avantgarde des Generals Witt, schlug am 7. März 1831 den polnischen General Sierawski bei Pulawy, nahm beim Sturm auf Praga am 7. Sept. die Jerusalemer Barrière u. wurde nach dem Kriege Generallieutenant u. Chef einer Cavalleriedivision; er st. 1842 in Warschau. 9) Graf M.-Amurski, General, zeichnete sich in den Feldzügen im Kaukasus aus u. wurde 1848 Generalgouverneur von Ostsibirien, im Aug. 1858 wurde er zur Belohnung des wichtigen Dienstes, den er durch den Abschluß des Vertrags, in welchem China das linke Amurufer abtrat, dem Reiche leistete, zum Grafen Amurski ernannt. – Ein Zweig der M. führt von einer Verheirathung eines Gliedes mit der Tochter des Hetmann Apostol den Namen M.-Apostol. 10) Iwan M.-Apostol, geb. 1769, machte 1820 eine Reise nach Taurien im antiquarischen Interesse, war auch russischer Gesandter beim Niedersächsischen Kreise u. am spanischen Hofe u. st. 24. März 1851 als Geheimerath u. Senator in Petersburg; er schr.: Puteschestwie po Tawride, Petersb. 1822 (deutsch von Örtel, Berl. 1825), u. übersetzte Sheridans Lästerschule, Horazens [559] Satyren u. Aristophanes Wolken ins Russische. 11) Sergei M.-Apostol, Sohn des Vor., war 1825 Obristlieutenant im Regiment Tschernigow, u. hatte sich mit den Fürsten Trubetzkoi u. Obolenski u. dem Obrist Pestel verschworen, die regierende Dynastie zu stürzen u. die altrussische Bojarenaristokratie zur früheren Macht zu erheben. Als Kaiser Alexander starb, sollte die Verschwörung ausbrechen, wozu bereits ein Theil der russischen Garde gewonnen war. Die Emeute in Petersburg wurde aber unterdrückt u. da Ordonnanzoffiziere abgesendet wurden, um M. zu verhaften, so empörte sich dieser offen, tödtete den Obrist Gebel, rief mit sechs Compagnien am 5. Jan. 1826 den Großfürsten Constantin zum Kaiser aus u. besetzte die Stadt Wassikow. Doch schon am 15. Jan. wurde er vom Generallieutenant von Roth bei Ustinowka angegriffen, geschlagen, verwundet u. gefangen u. im Juli 1826 in Petersburg gehängt.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 559-560.
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