Strohflechterei

[931] Strohflechterei, die fabrikmäßige Herstellung von aus Stroh geflochtenen Gegenständen, wie Hüte, Tischdecken, Teller, Körbe, Stuhlsitze etc. Als Geflechtstroh verwendet man das Stroh von Weizen, Roggen, Hafer, Reis u. Gerste. Das feinste u. sich zu Strohhüten am besten eignende ist das Weizenstroh, welches bes. in Toscana schon seit langer Zeit in vorzüglicher Art gezogen wird (Florentiner Stroh); es hat einen hohen Grad von Festigkeit, Zähigkeit u. Biegsamkeit, eine gleichmäßige gelbliche Farbe u. ist in seinen brauchbaren Theilen lang; sämmtlich die Merkmale eines guten Flechtstrohes. Das in Belgien, in der Schweiz u. der Lombardei gebaute Stroh kommt dem toscanischen ziemlich nahe. Das Roggen- u. Gerstenstroh, welches man bes. in Deutschland u. Frankreich baut u. verwendet, ist nur zu gröbern Geflechten geeignet; das Haferstroh wird dagegen z.B. in Steyermark von großer Schönheit u. Feinheit gewonnen, so daß es sich zu nachgeahmten Florentiner Hüten gut eignet. In der Lombardei stellt man aus oberen Theilen der Reisstrohhalme Hüte her. In Deutschland sind der Schwarzwald (Amt Triberg seit Ende des 17. Jahrh.), Sachsen, Schlesien u. Nassau, wo mehre Flechtschulen bestehen, die Sitze der S., u. man bezieht zu den feineren Artikeln das Stroh aus Italien. Die Art des toscanischen Strohbaues bes. zum Zwecke der Hutfabrikation ist folgende: Man säet entweder im December od. im März (Grano marzuolo) Körner des bärtigen Sommerweizens (Triticum turgidum) am liebsten auf Hügel u., damit die Halme recht sein werden, sechsmal so dicht als beim Körnerbau. Das Stroh wird vor der Reise, wenn die Ähren erst halb ausgebildet sind, mit der Wurzel aus der Erde gezogen, auf dem Felde vor Regen sorgfältig bewahrt, getrocknet u. so zur späteren Verarbeitung aufgehoben. Vor dieser wird es, damit es die beliebte weißgelbe Farbe annehme, in kleinen Bündeln fächerförmig im Freien ausgebreitet u. so, vor Regen geschützt, einige Tage unter gehörigem Umwenden dem Nachtthaue u. Sonnenschein ausgesetzt. Vom Regen wird das Stroh matt dunkelgelb od. fleckig, kann aber durch Schwefeln od. durch eine Lösung von Sauerkleesalz im kalten Wasser wieder weiß u. glänzend werden. Hierauf trennt man das oberste Glied, d.h. das Stück von der Ähre bis zum ersten Knoten des Halmes, welches allein zu den seinen Hüten brauchbar ist, u. sortirt diese Halmstücke mittelst einer einfachen Vorrichtung in gewöhnlich 12 Feinheitsnummern u. nach der Länge in drei Klassen; die feineren Sorten nennt man Schaum, die gröberen Rohr. Da die Halmstücke sich nach oben verjüngen, so trennt man sie oft in zwei Hälften, von denen man jede für sich verarbeitet, od. man benutzt zu den feinsten Hüten nur 11/2 Zoll langes Mittelstück. Gleich nach dem Sortiren werden die zu Bündeln zusammengebundenen Hälmchen eingeweicht u. etwa drei Tage lang in einem Kasten od. einer Kammer geschwefelt (Schwefeln). Eine völlige Bleichung des Strohes, wie sie für das Auffärben zarter Farben oft nöthig ist, erzielt man durch nachheriges Bleichen mit Chlor. Die geschwefelten Halmbündel werden 1 Tag in heißes Wasser geweicht, durch eine wiederholte zweistündige Behandlung mit einer Lauge aus 1 Pfund Pottasche u. 25 Pfund Kalk auf 100 Pfund Stroh von dem Harz befreit, gewaschen, in verdünnte Schwefelsäure (3 Proc. Gehalt) getaucht u. sofort in eine Lösung von Chlorkalk gelegt, bis die Bleichung vollendet ist. Das nach dem Waschen etwa noch anhängende Chlor entfernt man durch Einlegen in eine Lösung von unterschwefligsaurem Natron. Meist wird das Stroh im gebleichten Zustande geflochten, seltner im gefärbten. Das Färben erfordert ein Beizen des Strohes mit Alaun, seltner mit Weinstein u. Zinnchlorid, u. ist dem Färben anderer Körper ähnlich. Die Fabrikation der Strohhüte besteht in dem Zusammenflechten mehrer ganzer od. gespaltener Halme zu einem schmalen Bande u. dem geeigneten Zusammenlegen u. Nähen dieser Bänder zum Hute. Das an sich sehr seine Florentiner Stroh wird ungespalten geflochten; stärkeres Stroh von Weizen, Roggen- etc. wird gewöhnlich mittels des Strohspalters (s. Strohgewebe) in Streifen[931] gespalten, wodurch selbst aus schlechtem Stroh seine Hüte erhalten werden. Das Flechten der Bänder ist um so mühsamer u. zeitraubender, je kürzer die Halmstücke sind, daher der hohe Preis der feinsten Strohhüte; es geschieht häufig auch durch Kinder. Die Strohbänder erhalten nach der Zahl der dazu gebrauchten Halme, der Form u. Feinheit verschiedene Namen u. Preise; gewöhnlich nimmt man 13, seltner 5–14 Halmstreifen auf ein Band. Das Dessin erleidet einige, jedoch unbedeutende Variationen. Die Halmstreifen müssen alle mit der glänzenden Seite nach unten gelegt werden; wird ein neuer für einen zu kurz gewordenen eingesetzt, so darf dies auf der rechten Seite nicht bemerkbar werden, auf der andern kneipt man ihn ab. Die Bänder werden nach dem Flechten wieder geschwefelt u. dann gepreßt, indem man sie durch zwei glatte od. geriffelte Metallwalzen gehen läßt, wobei sie zugleich bedeutend länger werden. Für den Handel weist man dieselben auf Haspeln, od. legt sie spiralförmig in Rollen von bestimmtem Maaße zusammen. Um runde Florentiner Hüte herzustellen, macht man zuerst den Hutrand, indem man die Strohbänder in spiraliger Windung neben einander so anordnet, daß immer die zweite Windung dachziegelartig über die erste greift; in dieser Lage näht man sie zusammen, wobei die Nadel unter den Maschen am Rande des Strohbandes stets ringsum fahren muß, wenn die Naht außen unsichtbar werden soll. Auf gleiche Weise stellt man aus den Bändern, jedoch über einer hölzernen Form, den Kopftheil des Hutes her; beide Theile werden dann zusammengenäht. Die soweit fertigen Hüte werden durch Waschen mit schwacher Lauge gereinigt u. nochmals geschwefelt. Glanz u. Façon erhalten sie durch das Befeuchten mit Reiswasser od. dünnem Stärkekleister od. mit Gummilösung, Pressen zwischen hölzernen od. metallenen Formen u. Überfahren mit einem heißen Stahle von bequemer Führung u. passender Form. Die Florentiner Hüte sortirt man nach Nummern (Nr. 20 bis 60, ja 100), welche die Anzahl der Strohbandlagen angeben, welche auf die Breite des Hutrandes gehen. Von den feinsten Sorten kostet das Stück oft mehre Hundert Gulden u. erfordert gegen 1/2 Jahr zur Herstellung. Zu Strohhüten verwendet man auch das Espartogras, s.d. (Sparteriehüte). Man ahmte auch Strohhüte nach aus seinem, sehr starkem, in der Masse gefärbtem Papier, welchem man durch Einpressen von Mustern das Ansehen geflochtenen Strohes gab. Strohhüte sollen schon von der Mannschaft des Kaisers Otto I. getragen worden sein, als dieser 940 in Frankreich einfiel.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 931-932.
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