Bulle

[348] Bulle, gleichbedeutend mit Urkunde, heißen zum Unterschiede von den Breven (s.d.) die Verordnungen, welche der Papst in Kirchensachen erläßt, wenn ihnen ein bleiernes Siegel angehängt ist, das ursprünglich Bulle genannt wurde. Die Bullen haben in der Geschichte zur Zeit der päpstlichen Übermacht eine große Rolle gespielt und sind in großer Anzahl erlassen worden, um der gläubigen Welt ihren allmächtigen Willen dadurch zu verkünden; besonders gefürchtet waren in den glänzendsten Zeiten der päpstlichen Herrschaft die Bullen, durch welche der Bann (s.d.) oft über Könige, Kaiser und ganze Länder ausgesprochen ward. Gewöhnlich werden die päpstlichen Bullen nach den Worten benannt, mit welchen sie beginnen; so die Bulle In coena domini, Unigenitus, Ad regimen, Execrabilis und andere mehr oder weniger bekannte. Nach dem Vorgange der geistlichen Macht wurde im J. 1356 auch von der weltlichen Macht eine Bulle erlassen, welche zu den wichtigsten Gesetzen des ehemaligen deutschen Reichs gehört, nämlich die sogenannte goldene Bulle, welche unter dem Kaiser Karl IV. auf [348] einem Reichstage zu Nürnberg entworfen, zu Metz feierlich verkündet wurde und zum Zweck hatte, für die Zukunft eine bestimmte Ordnung für das Wahlgeschäft eines röm. Königs oder Kaisers festzustellen, woraus bis dahin häufig Streitigkeiten und mannichfache Verwickelungen entstanden waren. Es werden in diesem berühmten Reichsgrundgesetze den sieben Kurfürsten, welche als »die sieben glanzenden Leuchten des Reichs, in Einigkeit der. sieben Gaben des heiligen Geistes« bezeichnet werden, bedeutende Rechte und Ehren zugestanden und ihre Verrichtungen als Wahlherren und als Reichs-Erzbeamte sowol bei der Wahl und Krönung, als bei den feierlichen Hoftagen und Reichsversammlungen, auch die Familienverhältnisse und die Erbfolge in den weltlichen Kurfürstenthümern bestimmt. Ferner wurde die Zeit und Ordnung der Wahl, der Wahleid und die entscheidende Stimmenmehrheit darin festgesetzt und Frankfurt am Main zum Wahlort, Aachen zum Krönungsort, und Nürnberg zum Sitz des ersten Hostages jedes Kaisers bestimmt. Auch über den Landfrieden und die allgemeine innere Reichsordnung wurden Bestimmungen getroffen und den Kurfürsten bewilligt, daß ihre Unterthanen weder vor einem auswärtigen Gerichte zu erscheinen hätten, noch daß ein von einem einheimischen Gerichtshofe gesprochenes Urtheil bei einem auswärtigen angefochten werden könne, außer in dem Falle der verweigerten Rechtshülfe, wo eine Beschwerde bei den kais. Gerichten angebracht werden konnte. – Ein Originalexemplar der goldenen Bulle wird noch jetzt in Frankfurt gezeigt, ein neuer Abdruck derselben ist 1834 in Leipzig erschienen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 348-349.
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