Horatius [2]

[414] Horatĭus (Quintus) Flaccus, ein berühmter röm. Dichter, dessen Gedichte uns größtentheils erhalten sind, wurde zu Venusium in Apulien 65 v. Chr. geboren. Sein Vater war ein Freigelassener und besaß ein kleines Grundstück, welches er jedoch verkaufte und nach Rom zog, um seinem Sohne, an dem er ungewöhnliche Talente bemerkt hatte, eine gute Erziehung geben zu können. Trefflich vorgebildet ging der Jüngling in seinem 20. Jahre nach Athen, welches damals als Hochschule der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Bildung galt. In Rom wurde bald nachher der große Imperator Julius Cäsar ermordet, weil man fürchtete, er möge sein Ansehen benutzen, die Republik zu stürzen, und die Mörder desselben, Brutus und Cassius, kamen nach Athen, wo sie Alles an sich zogen, was für die Sache der röm. Freiheit gegen die Rächer des Cäsar die Waffen ergreifen wollte. Auch H. trat in ihr Heer und wurde Anführer einer Legion. Bei Philippi in Macedonien kam es zu der bekannten Schlacht, in welcher die röm. Republik unterging, Brutus und Cassius fielen und H. nur durch die Flucht sein Leben rettete. Nachdem die neuen Machthaber den Besiegten die Rückkehr nach Rom bewilligt hatten, kam auch H. dahin zurück, aber sein kleines Vermögen war eingezogen worden und er konnte sich nur mit Mühe in einer kleinen Anstellung sein Brot erwerben. Eine politische Laufbahn wollte und konnte er unter den bestehenden Verhältnissen nicht machen; aber bald that sich sein gebildeter und gewandter Geist in anderer Weise hervor. Er trat öffentlich mit seinen Dichtungen heraus, die durch ihre leichte Form, durch den in ihnen herrschenden treffenden Witz, verbunden mit einer feingebildeten, heitern und doch sittlichen Lebensanschauung, bald die Aufmerksamkeit seiner ausgezeichnetsten Zeitgenossen auf ihn zogen. Virgil wurde sein Freund und machte ihn mit Mäcenas, dem reichen Beschützer der Wissenschaften und Künste, bekannt, der ihn wohlwollend aufnahm und das Glück seines Lebens dadurch begründete, daß er ihm ein kleines Landgut, das sabinische genannt, schenkte. Theils hier, theils in Rom lebte H. heiter und zufrieden, dankbar seinem Wohlthäter, aber es verschmähend, durch niedrige Schmeicheleien die Gunst der Gewalthaber sich zu erbetteln. Augustus, der ausgeführt hatte, was man von Cäsar nur befürchtet, trug dem H. eine Anstellung in seiner nächsten Umgebung an; aber dieser lehnte sie unter dem Vorwande, daß seine Gesundheit zu schwächlich sei, ab. Bald nach Mäcenas starb H. im I. 9 v. Chr. und wurde neben seines Gönners Grabmal auf dem Esquilin beigesetzt. Seine Gedichte sind Oden, Episteln und Satiren. In jenen ahmte er griech. Muster nach, erwarb sich jedoch das Verdienst, die lat. Sprache zuerst zu einem höhern Grade metrischer Ausbildung gebracht zu haben. Originell trat H. in seinen Satiren, denen auch seine Episteln verwandt sind, auf. Mit einer unübertrefflichen Leichtigkeit und Gewandtheit, die sich gleichermaßen in Form und Inhalt ausspricht, stellt er die Laster und Schwächen seiner Zeitgenossen als lächerliche Thorheiten dar, und indem er den Ernst eines Sittenpredigers vermeidet, trifft er auf diese Weise die Schlechtigkeit nur um so empfindlicher. Seine Werke sind vielfach herausgegeben und übersetzt worden. Große Verdienste hat sich Wieland um den H. erworben, indem er nicht allein dessen Satiren und Briefe in einer den Geist des Dichters glücklich abspiegelnden Übersetzung bekannt, sondern auch durch geistvolle Einleitungen und Anmerkungen dem jetzigen Publicum verständlich machte.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 414-415.
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