Kindbettfieber

[598] Kindbettfieber, Kindbetterinnenfieber, heißt eine höchst gefährliche, fieberhafte Krankheit, welche vermöge ihrer Natur nur bei Wöchnerinnen vorkommen kann, indem sie wesentlich durch Störung von Verrichtungen bedingt wird, die nur das Kindbett für den weiblichen Körper mit sich bringt. Gewöhnlich am zweiten oder dritten Tage nach der Niederkunft, zuweilen jedoch auch später, wird die Wöchnerin von einem Froste befallen, der gleich anfangs mit Eingenommenheit des Kopfs, Beängstigung und Beklemmung der Brust und großem Mattigkeitsgefühl verbunden zu sein pflegt und nach längerer oder kürzerer Dauer in starke Hitze übergeht. Hatte die Entbundene nicht schon vor dem Eintritte der ersten Fieberbewegungen an irgend einer Stelle des Körpers Schmerz, so stellt sich solcher nun ein und zwar meist in der Bauchhöhle, wird fast mit jeder Viertelstunde heftiger, stechend und bohrend. Zugleich mit dem Beginn der ersten Hitze tritt ein außerordentlich heftiger Durst ein, der von nun an bis zum Nachlasse der Krankheit oder bis zum Tode fortdauert; der Appetit verschwindet, es stellen sich Übelkeiten, Würgen oder auch wirkliches Erbrechen ein, die Zunge belegt sich, der Geschmack wird meist bitter, der Mund trocken, der Stuhlgang bleibt gänzlich aus, der Puls erreicht eine Schnelligkeit von 120–130 Schlägen in der [598] Minute, ist im Anfange groß, gereizt und härtlich, wird aber später ganz klein und schwach. Die vielleicht schon durch die Milch angeschwellten Brüste werden welk, diese verschwindet ganz oder zum Theil aus ihnen, wird dünner, wässeriger oder bleibt auch ganz aus, der Wochenfluß geräth ins Stocken oder verändert sich in seiner Beschaffenheit, wird jauchig, übelriechend – Zustände, die jedoch nach dem besondern Sitze der Krankheit außerordentlich wechseln, indem z.B., wenn der Kopf der vorzugsweise leidende Theil ist, der Wochenfluß oft in naturgemäßer Beschaffenheit, obschon sparsamer als gewöhnlich, abgeht. Zu den eben besprochenen Erscheinungen gesellen sich ferner bald allerhand sogenannte nervöse Zufälle, zuerst gewöhnlich Verdunkelung des Gesichts, sodaß die Kranke selbst bei dem hellsten Sonnenlichte über Finsterniß klagt, dann Sausen und Brausen vor den Ohren, eine allgemeine Unruhe, ein Zittern und Beben in den Muskeln, später, wenn die Krankheit weitere Fortschritte gemacht hat, stilles Irrereden u.s.w. Nachdem der erste Fieberanfall mehre Stunden in der eben angegebenen Art angedauert hat, lassen die Fieberbewegungen, der heftige Schweiß, die Beängstigung u.s.w. nach und die Kranke fühlt sich im Allgemeinen besser und wohler, jedoch sehr matt und angegriffen. Die eingetretene Besserung und der Nachlaß des Fiebers sind indeß von keiner langen Dauer, dieses kehrt bald nur noch stärker und anhaltender zurück, der Schmerz, überhaupt alle Krankheitserscheinungen, steigern sich von Neuem. Unter steter Zunahme der Fieberhitze mit unterlaufenden Schauern, unter beträchtlicher Steigerung der Angst, der Athembeschwerden, des quälenden Durstes, kommen nun sogenannte Peteschen (bläulichrothe, Flohstichen ähnliche Flecken) oder weiße Frieselbläschen auf der Haut zum Vorschein und der in reichlicher Menge im Blute enthaltene, von seiner naturgemäßen Richtung nach den Brüsten abgeleitete Milchstoff scheidet sich in eine der drei Haupthöhlen des Körpers, im glücklichern Falle an den Gliedmaßen zwischen die Muskeln, Sehnen und Bänder ab. Am gewöhnlichsten geschieht dies jedoch in den Unterleib, der dann in seinem ganzen Umfange wo möglich noch empfindlicher wird, wie bei Bauchwassersucht anschwillt und deutliche Schwappung wahrnehmen läßt. War die Entbundene bisher noch bei Bewußtsein, so verliert sie es jetzt, redet irre, fängt an zu schreien, zuweilen mit lauttönender Stimme ohne Aufhören zu singen, raset und tobt, was besonders bei Absetzung des Milchstoffs in die Gehirnhöhlen der Fall ist, wo überhaupt die Erscheinungen am furchtbarsten sind. Das Auge wird wild, stier, die Pupille schwer oder gar nicht beweglich, das Vermögen zu sehen ganz oder zum Theil aufgehoben, Gehör und Geruch stumpf oder im Gegentheil in einem hohen Grade verschärft; findet die Ausschwitzung des Milchstosss in die Brust statt, was jedoch selten zu geschehen pflegt, so werden die Verrichtungen der Lungen, des Herzens und der größern Gefäße gestört. In der Regel erfolgt 12–24 Stunden nach dem Beginn der erwähnten Ausschwitzung (meist am vierten, fünften oder sechsten Tage der Krankheit) und nach Vorausgang allgemeiner Convulsionen der Tod. Weniger stürmisch sind im Allgemeinen die vorgenannten Erscheinungen, wenn die Krankheit sich erst in der zweiten, dritten oder vierten Woche nach der Geburt entwickelt, auch überrascht dann der Tod nicht so plötzlich. Die Leichen von am Kindbettfieber verstorbenen Wöchnerinnen gehen außerordentlich schnell in Fäulniß über. Der auf widernatürliche Weise abgelagerte Milchstoff besteht in einer bald ganz hellen und klaren, bald aber auch in hohem Grade getrübten Flüssigkeit von meist gelblicher oder bräunlicher Farbe, in welcher gelbliche Flocken umherschwimmen. Die Menge derselben beträgt zuweilen, zumal wenn die Absetzung derselben in die Bauchhöhle erfolgt ist, sechs, acht, zwölf und mehr Pfunde an Gewicht. So gefährlich nun das Kindbettfieber ist, indem es erfahrungsgemäß in der großen Mehrzahl der Fälle mit dem Tode endet, so geht es doch auch, wenngleich selten, in Genesung über, oder in andere, freilich auch immer bedenkliche Krankheiten. Erstere pflegt dann ebenso rasch zu erfolgen, als der Eintritt der Krankheit und im unglücklichen Falle der Tod. Jedoch darf man nur so lange auf Genesung hoffen, als es noch nicht zur krankhaften Ausscheidung des Milchstoffs, zu einer sogenannten Milchstoffversetzung gekommen ist. Nimmt das Kindbettfieber den Ausgang in Genesung, so lassen alle mit ihm verbundenen Zufälle nach, namentlich Schmerzen und Fieber, die durch den Zustand des Wochenbetts bedingten Verrichtungen des weiblichen Körpers stellen sich wieder her, so besonders die Absonderung von Milch in den Brüsten, und gleichzeitig finden kritische Ausscheidungen durch Haut und Nieren statt. Zu den Folgekrankheiten, durch welche das Kindbettfieber noch mittelbar und später tödtlich werden kann, gehören schleichendes Fieber, Seelenstörungen, namentlich Melancholie, Abzehrung, Schwindsucht, Bauch- und Eierstockswassersucht, Verwachsungen einzelner Eingeweide des Unterleibs oder der Brust unter sich oder mit andern Organen mit meist unglücklichem Ausgange in Entzündung, Vereiterung u. dgl. Vergleichsweise am gefährlichsten wird das Kindbettfieber bei epidemischer Verbreitung, darum so verheerend in großen Gebärhäusern, in denen fast alle davon befallenen Wöchnerinnen ohne Ausnahme sterben. Unter den Ursachen, welche zur Entwickelung desselben Veranlassung geben sollen, verdienen Erwähnung Diätfehler aller Art, Erkältung, Reizung der Gedärme durch den Genuß zu vieler oder schädlicher Speisen und Getränke, unzeitiger Gebrauch von Arzneien, namentlich von Abführungsmitteln, die Unterlassung des Stillens bei reichlich vorhandener Milch, unzweckmäßiges Verfahren bei Ausführung desselben, Gemüthsbewegungen, Alles, was die Thätigkeit der Geschlechtstheile und der genau mit ihnen zusammenhängenden Organe vermehrt, endlich die epidemische Ausbreitung der Krankheit, welche vorzüglich durch naßkalte Witterung befördert zu werden scheint.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 598-599.
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