Nation

[243] Nation oder Völkerschaft wird ein durch die natürlichen Bande gemeinsamer Abstammung, Sprache und Sitte und davon bedingten allgemeinen Eigenthümlichkeiten ausgezeichneter Theil des Menschengeschlechts genannt, gleichviel ob er auch bürgerlich zu einem Staate vereinigt ist, wie z.B. die franz. Nation, oder in mehre Staaten zerfällt, wie die Griechen im Alterthume und die Deutschen jetzt. Auch der Ausdruck »Volk« wird oft in demselben Sinne gebraucht, ist aber weniger bestimmt und wird z.B. auch blos auf die Bewohner eines Landes im Gegensatze zu ihrem Oberhaupte angewendet, das in Nation mit einbegriffen ist. Die Art und Weise, wie jene Eigenthümlichkeiten sich am übereinstimmendsten in der Leibesbildung, im Benehmen, Denkungsart, Lebens- und Handlungsweise für die Wahrnehmung aussprechen, macht die Nationalität und den Nationalcharakter aus. Ebenso werden einzelne Merkmale dieser Begriffe als Nationalzüge, Tänze, Lieder u.s.w. bezeichnet, die einer Nation eigne und dem Einflusse der Mode so gut wie gar nicht unterworfene Tracht ihre Nationaltracht, die zum Abzeichen einer Nation in Cocarden, Schärpen, Fahnen, Flaggen und dergleichen gewählten Farben, die Nationalfarben genannt. Verhältnisse und Fragen, bei denen das Interesse einer ganzen Nation betheiligt ist, heißen oft Nationalsachen, und im gleichen Sinne redet man von der Nationalehre und nennt Nationaldenkmal ein solches, welches aus den Beiträgen und Mitteln einer Nation und auf deren oder ihrer Vertreter Anordnung errichtet wurde. – Unter Nationalliteratur wird nicht blos im Allgemeinen die Gesammtheit der schriftlichen Werke einer Nation, sondern auch noch im Besondern jener Theil derselben verstanden, in welchem die betreffende Nationalität sich am entschiedensten und ausgebildetsten kund gibt. – Nationalgarde ist hin und wieder nach dem Beispiel der 1790 in Frankreich errichteten, die zum innern Dienst und zur Landesvertheidigung bestimmte Bürgerbewaffnung genannt worden. (S. Volksbewaffnung.) – Nationalgüter im eigentlichen Sinne kann nur eine bürgerlich zu einem Staate vereinigte Nation besitzen und sie machen daher stets einen Theil ihres Staatsvermögens aus, dessen Benutzung ihr vorzugsweise zusteht und über den nur mit ihrer Zustimmung oder der ihrer Vertreter, von der Regierung verfügt werden sollte. Es gehören dahin Landstraßen, öffentliche Gebäude, Denkmale und andere Einrichtungen zum gemeinen Nutzen oder Vergnügen, sowie das Vermögen von Kirchen, Klöstern, Schulen, milden Stiftungen und andern Anstalten von allgemeiner Wirksamkeit damit vereinigt rechtlich wird, wenn deren gesetzliches Bestehen theilweise oder ganz aufhört, und damit auch ihr näherer Besitz jener Güter zu Ende geht. Das Staatsvermögen endlich ist wieder blos ein Theil des Nationalvermögens oder Capitals, welches die Gesammtheit aller Güter, Mittel und Gegenstände der äußern Thätigkeit eines Volks und seiner Regierung, d.h. die ganze Masse des Grundbesitzes und baaren Geldes, der zu verarbeitenden Stoffe, der Werkzeuge und Waaren, der vorhandenen Leibes- und Verstandeskräfte und endlich jene Dinge in sich begreift, welche nicht Gegenstände der Arbeit und des gewinnbringenden Schaffens, sondern des Genusses und Vergnügens sind, wie z.B. Sammlungen von Kunstwerken und Seltenheiten.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 243.
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