Rede

[641] Rede heißt im weitern Sinne der mündliche oder schriftliche Ausdruck von Gedanken durch die Sprache, woraus sogleich hervorgeht, daß reden mehr ist als sprechen, welches jenem nur als Mittel zum Zwecke dient und blos im Hervorbringen von Lauten und Worten ohne allen Zusammenhang bestehen kann. Das Reden setzt demnach ein Denken voraus, das bloße Sprechen aber noch nicht, und der Sinn der Rede wird von den in Worten dargestellten Gedanken gebildet. Soll daher der Rede der Zusammenhang nicht mangeln, so müssen die Worte, um den Gedanken zu entsprechen, nach gewissen Regeln aneinander gereiht werden und die Kunst, Gedanken auf angemessene Weise in Worten darzustellen, heißt die Redekunst, die Anweisung dazu aber ist Aufgabe der Rhetorik (s.d.). Die prosaische Rede schlechthin will entweder blos mittheilen was Jemand denkt, oder beabsichtigt zugleich die Überzeugung von der Wahrheit und Nothwendigkeit der ausgesprochenen Gedanken mit zu übertragen. Wäre es nun zu Erreichung dieser Bestimmung auch genug, blos verständlich und verständig zu sein, so wird doch höhere Kunst und Schönheit der Darstellung oft wesentlich beitragen, die Hörer (oder Leser) zu fesseln und zu gewinnen und es zerfällt daher die Redekunst: 1) in die Lehre von der Erfindung der darzustellenden Gedanken, 2) in die von ihrer Anordnung und 3) in die vom Ausdrucke derselben in Worten oder vom Style. Gesellt sich nun dazu noch insbesondere für den mündlichen Vortrag die Declamation (s.d.), so geht daraus die Kunst des vorzugsweise sogenannten Redners oder die schöne Rednerkunft hervor, welche auch Beredtsamkeit (s.d.) genannt wird. Im engern Sinn versteht man unter einer Rede ein von einem bestimmten Gegenstande handelndes Werk der Redekunst in der dafür anerkannt besten Kunstform. Zwecke einer Rede können Betrachtungen und Belehrung über Begriffe und einzelne Gegenstände, sowie Bestimmung des Willens Anderer zur Ausführung oder Unterlassung von Handlungen sein. Der besprochene Gegenstand bedingt im Verein mit dem Zwecke die Theile des Ganzen der Darstellung näher, als welche man den Eingang (Exordium), den Hauptsatz, die Beweisführung und Auseinandersetzung, und den Schluß unterscheidet, von welchen Hauptsatz und Beweis die nothwendigen Theile sind. Die Reden selbst theilt man nach ihrem Inhalt in geistliche und weltliche, zu deren zahlreichen Unterarten die Predigt, die Abendmahls-, Beicht-, Confirmations-, Tauf-, Trau- und Leichenreden, ferner die gerichtlichen, welche von Klägern und Beklagten und ihren Vertheidigern gehalten werden, wo mündliche und öffentliche Rechtspflege stattfindet, die politischen und Staatsreden, Lobreden, akademische und Schulreden, Danksagungs-, Gratulationsreden u.a.m. gehören. Die öffentliche und namentlich politische und gerichtliche Beredtsamkeit war bei den alten Griechen und später bei den Römern zu einer solchen Höhe ausgebildet, daß die auf uns gekommenen Reden eines Demosthenes (s.d.), Lysias aus Athen, 458–379 v. Chr., und Isokrates, 436–338 v. Chr., sowie des Cicero (s.d.) noch immer als erste Muster dastehen. Während des Mittelalters verfiel die Beredtsamkeit und ward nur auf den später errichteten Universitäten, jedoch meist blos für wissenschaftliche Vorträge, wieder etwas gepflegt. Zu geistlichen Reden ermunterte der katholische Gottesdienst [641] nicht, bei dem die Predigt eine wenig bedeutsame Stelle einnahm, indessen zeichnete sich in Deutschland doch schon vor der Reformation als Kanzelredner namentlich Tauler, gest. 1361 in Strasburg, wo er in der ehemaligen Dominikaner-, jetzt lutherischen Neuen- oder Predigerkirche begraben liegt, sowie der ebendaselbst 1510 verstorbene Geiler von Kaisersberg aus. Zu den berühmten geistlichen Rednern späterer Zeit gehören Luther, Joh. Arndt, Jak. Spener, Aug. Francke, Zollikofer, F. V. Reinhard, Schleiermacher, von lebenden der Bischof Dräseke, v. Ammon und I. F. Röhr, von denen besondere Artikel handeln. Die früher durch mangelnde Veranlassung bei den Deutschen vernachlässigte Staatsberedtsamkeit hat neuerdings durch die Öffentlichkeit der ständischen Verhandlungen eine Anregung erhalten, die schon wesentliche Früchte getragen hat. Reich ist auch die deutsche Literatur an akademischen Reden. In England haben sich als politische und gerichtliche Redner Hor. Walpole, G. Fox, Pitt, Burke, R. Peel, H. Brougham und Andere ausgezeichnet und ebenso mangelt es den Franzosen nicht an Werken gerichtlicher und politischer Beredtsamkeit, welche den berühmten Vorbildern der Alten nahe kommen. Die berühmtesten geistlichen Redner der Franzosen sind der Jesuit L. Bourdaloue, gest. 1704, und I. B. Massillon (s.d.), unter die der Engländer gehören Tillotson, Blair, Hewlet u.A. – Redende Künste werden diejenigen genannt, welche sich der Rede zur äußern Darstellung als Mittel bedienen. Es sind das die Dichtkunst und die Beredtsamkeit; von Manchen wird auch die Gesangkunst, jedoch nie die Tonkunst, dazu gerechnet, die Schauspielkunst aber gehört zu den mimischen Künsten.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 641-642.
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