Spener

[241] Spener (Phil. Jak.) erwarb sich im 17. Jahrh. das große Verdienst, daß er die lutherische Kirche von den Fesseln eines starren Buchstabenglaubens befreite und sie wieder zu einem lebendigen Christenthum zurückführte, sodaß er als Reformator des religiösen Lebens in der Kirche betrachtet wird. Er wurde 1635 zu Rappoltsweiler in Oberelsaß geboren, wo sein Vater das Amt eines Raths und Registrators des Grafen von Rappoltstein bekleidete, und zeigte frühzeitig schon eine vorherrschende Richtung zur Frömmigkeit, die durch das Lesen der h. Schrift und Arnd's »Wahres Christenthum« kräftig genährt und befestigt wurde. Nicht weniger machte sich der Hofprediger Stolle zu Rappoltsweiler um die frühe Bildung seines Geistes verdient, dessen Predigtmanier und katechetische Lehrart er sich späterhin zum Muster nahm. Seine Schulbildung erhielt er auf dem Gymnasium zu Kolmar, studirte 1651 zu Strasburg Theologie, wurde 1652 Magister und nahm 1654 eine Informatorstelle bei den Brüdern Christian und Johann Karl, den Prinzen von der Pfalz, an, verließ sie aber wieder, als diese Fürsten 1659 nach Frankreich gingen. Er begab sich nun nach Basel, wo er unter des berühmten Buxtorf Leitung das Hebräische erlernte, dann nach Genf und Lyon, von da wieder nach Basel, dann nach Tübingen und endlich abermals nach Strasburg. Hier hielt er akademische Vorlesungen, wurde 1663 zum zweiten Stadtprediger ernannt und feierte 1664 auf einen Tag die Erlangung der theologischen Doctorwürde und seine Hochzeit. Das Ansehen, das S. als Gelehrter und Geistlicher genoß, war jetzt schon so groß, daß er kaum 30 Jahre alt als Senior an die Spitze der Geistlichkeit zu Frankfurt a. M. trat, und von nun an erhielt sein Wirken für die Kirche die größte Wichtigkeit. Da nämlich in jener Zeit der lebendige Glaube zum todten Buchstaben der Rechtgläubigkeit geworden war, so suchte er den Geist des Christenthums nicht nur in seinen Predigten den Herzen mitzutheilen, er stiftete auch zu diesem Zwecke 1670 die Collegio pietatis, Versammlungen zur Belebung und Erweckung der Religion, durch Auslegung und Nutzanwendung der h. Schrift, die er in seinem Hause hielt und an denen Menschen jedes Standes Theil nehmen konnten. Hatte er schon früher durch seine Wirksamkeit als Prediger Neider gegen sich geweckt, so wurde er jetzt noch heftiger wegen seiner Collegien, denen er zugleich durch zahlreiche Schriften Eingang zu verschaffen suchte, von den Theologen angefeindet, indem dadurch die Lieblingsdogmen seines Zeitalters zwar nicht bestritten, aber doch als unnütz für die Erbauung bei Seite gelegt wurden. Indeß schritt S. auf der einmal betretenen Bahn muthig fort, und seine Wirksamkeit fand, besonders unter den Volkslehrern, vielfache Anerkennung und Nachahmung. Im J. 1686 wurde S. als Oberhofprediger nach Dresden berufen. Auch hier arbeitete er an dem großen Ziele der Erneuerung der Kirche im christlichen Glauben und Leben, verbesserte das Predigtwesen, weckte durch die Wiederherstellung der katechetischen Lehrmethode einen bessern Geist in den Volksschulen und stiftete ebenfalls aus jungen Theologen in Leipzig Collegia pietatis. Man nannte die Theilnehmer derselben spottweise Pietisten, sowie die hiervon ausgehende Denkart Pietismus (s.d.). S. selbst erfuhr bei den Theologen in Sachsen den größten Widerstand, sodaß sie sogar in ihren Schriften den Zweifel aussprachen, ob S. selig werden könnte, und als dieser in einem Falle auf eine ungeeignete Weise sich [241] zum strengen Sittenrichter des Kurfürsten Georg III., seines Beichtsohnes, aufwarf und bei diesem in Ungnade fiel, benutzen sie diese Gelegenheit zu seiner Entfernung von Dresden 1691. Noch in demselben Jahre wurde er vom Kurfürsten von Brandenburg als Propst und Inspector der Kirche zu St.-Nicolai und Assessor des Consistoriums nach Berlin berufen, wo er um des Guten willen, wofür er bis an das Ende seines Lebens wirkte, von der einen Seite ebenso große Verehrung genoß, als er von der andern angefeindet und verfolgt wurde. Die theologische Facultät zu Wittenberg warf ihm nicht weniger als 264 Irrlehren vor. Die Wiederberufung in seine Ämter nach Dresden, 1698, lehnte er ab. Die reichen Früchte seines Wirkens genoß er noch vor seinem Tode, indem namentlich die Universität Halle, an deren Stiftung er den größten Antheil hatte, der Sitz wurde, von welchem ein besseres Leben der Kirche ausging. Gottselig, wie er gelebt, starb er 1705 in Berlin. Wenn S. für ein wahrhaftes Bedürfniß seiner Zeit sprach und wirkte und Tausenden den Trost und die Freude der Religion wiedergab, so war es nicht seine Schuld, daß in der Folge durch die einseitige Entwickelung des Pietismus der Grund zu dem Sektenwesen in der Kirche gelegt und dadurch derselben der größte Schade gebracht wurde. S.'s Schriften, zu denen treffliche Kirchenlieder gehören, verbinden mit der größten Einfalt und Kunstlosigkeit der Sprache den tiefen Reichthum eines vom Christenthum begeisterten, gekräftigten und erleuchteten Geistes. Vgl. Hoßbach, »Phil. Jak. S. und seine Zeit« (2 Bde., Berl. 1828).

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 241-242.
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