Spinnen [2]

[248] Spinnen nennt man die uralte Kunst, flockigen und faserigen Stoffen die Gestalt eines langen Fadens zu geben, welche besonders dadurch so außerordentlich wichtig ist, weil man durch sie jene Stoffe vorbereitet, um zu Geweben, Zeuchen verwandelt zu werden, welche zur Bekleidung des Menschen und zu vielen andern Zwecken dienen. Das Spinnen geschah früher allgemein nur durch die Spindel, [248] d.h. es wurde der Faden mit den Fingern gedreht und zugleich auf ein Stäbchen aufgewickelt, indem dasselbe zwischen den Fingern um seine Längenrichtung schnell umgedreht wurde. Bei dieser Art des Spinnens, welche auch jetzt noch überall gebräuchlich ist, wird der schönste und gleichmäßigste Faden gewonnen, und es hat noch den Vorzug, daß es nur eine gewisse leicht zu erlernende Fertigkeit und sonst nur eine sehr einfache Vorrichtung erfodert. Außer der Spindel hat man nämlich zu demselben nur noch des Rockens nöthig, eines Stockes, an welchem das Material, Flachs, Wolle, Baumwolle, befestigt ist. Dafür ist das Spinnen mit der Spindel aber auch das langsamste. Griechen und Römer und alle übrigen Völker bis zu Anfang des 16. Jahrh. bedienten sich nur der Spindel, und die Hindus versorgen ihre vielen Baumwollenwebereien noch jetzt nur mit der Spindel. Im J. 1530 soll ein Steinmetz zu Wolfenbüttel, Namens Jürgens, das noch jetzt zur Flachsspinnerei allgemein gebräuchliche Spinnrad erfunden haben. Auch bei diesem wird der Faden durch Menschenhand gebildet, nachher aber mit Hülfe des Spinnrads aufgewickelt, indem eine Spille oder Spindel durch ein Rad in schnell drehende Bewegung gesetzt wird. Mit der fortschreitenden Cultur wurde in Europa das Bedürfniß nach den verschiedensten Arten von Geweben immer größer, und zugleich steigerten sich die Mittel, diese Gewebe zu bereiten, und die Erzeugung des Materials. Ungeheure Massen von Baumwolle wurden eingeführt, und die Gewinnung der Wolle wurde auch Gegenstand der Betriebsamkeit. Unter solchen Verhältnissen war es höchst zeitgemäß, auf Mittel zu denken, eine verbesserte Spinnmethode zu ersinnen, bei welcher in kürzerer Zeit und mit geringern Kosten eine größere Masse Material verarbeitet werden konnte. Der erste Erfinder einer Spinnmaschine war Richard Hargreaves, ein Weber in Lancashire, welcher 1769 die erste sogenannte Jennymaschine herstellte. Die ersten dieser Maschinen bestanden aus einer Anzahl von Spindeln, welche durch ein gemeinschaftliches, mit der Hand gedrehtes Rad in Bewegung gesetzt wurden. Die Spinner, welche in dieser Maschine einen Todfeind erblickten, rotteten sich zusammen, zerstörten Hargreaves' Maschine und nöthigten diesen, nach Nottingham zu entfliehen, wo er in Dürftigkeit starb. Glücklicher war Rich. Arkwright (s.d.) mit Erfindung seines Spinnrahmens. Bei seiner Maschine wird durch die menschliche Hand nichts gethan, als daß das Material angelegt wird und etwa reißende Fäden angeknüpft werden. Eine Verbesserung erhielt diese Maschine in der sogenannten Drossel (engl. throstle), bei welcher aber nur die Vorrichtung, welche die Bewegung mittheilt, vereinfacht ist. Noch eine andere Spinnmaschine ist die 1775 von Samuel Crompton aus Bolton zu Stande gebrachte mule jenny, welche sich besonders zur Herstellung sehr seiner Gespinnste eignet, und durch William Kelly aus Glasgow noch verbessert wurde. Seit der Erfindung dieser Maschinen hat man dieselben in allen ihren einzelnen Theilen noch vielfach vervollkommnet, und zugleich hat man in der Behandlung der zu spinnenden Stoffe, in Bezug auf die verschiedenen mit ihm bis zur Vollendung vorzunehmenden Operationen mannichfache Entdeckungen gemacht, deren gemeinsames Resultat dies ist, daß man gegenwärtig, namentlich das Baumwollengarn, in ungeheurer Menge herzustellen vermag, dabei dasselbe von großer Güte und fast um einen Zehntheil des frühern Preises liefert. Am meisten sind die Spinnmaschinen deswegen angefeindet worden, weil sie, wie es scheint, eine große Menge von Menschen um ihre Arbeit bringen, jedoch gleicht sich dieses durch die mit der Production und Wohlfeilheit der Producte erhöhte Consumtion aus, und es ist erwiesen, daß ein fleißiger Arbeiter bei der Maschine noch ebenso viel verdient als er früher als Spinner verdiente, nur daß seine Arbeit selbst einen großartigern Erfolg hat. Spinnmaschinen gibt es gegenwärtig nicht nur in England, sondern fast in allen Ländern, in denen die Industrie blüht. Der Minister Calonne führte 1787 die ersten Spinnmaschinen in Frankreich ein, die sich seitdem sehr vermehrt haben. Unter den deutschen Staaten haben namentlich Östreich, Sachsen und Preußen große Spinnereien. In Rußland hat die Regierung Spinnmaschinen aufstellen lassen. Auch Flachsspinnmaschinen sind erfunden worden, nachdem man sie eine Zeit lang schmerzlich entbehrt und Napoleon 1810 sogar einen Preis von einer Mill. Franken auf ihre Erfindung gesetzt hatte. In dieser Beziehung hat namentlich der Engländer Marschall in Leeds sich Verdienste erworben. Seit 1825 haben die Flachsspinnmaschinen, besonders in England und Frankreich, Verbreitung gefunden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 248-249.
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