Spinnen [2]

[560] Spinnen, 1) einen Faserstoff, bes. Flachs, Hanf, Seide, Baum- u. Schafwolle zu einem Faden zusammendrehen. Da alle einigermaßen cultivirte Völker Kleider von gewebten Stoffen tragen, so ist S. ein sehrweit verbreiteter u. bes. in neuester Zeit einer der wichtigsten Industriezweige. Das S. zerfällt in drei verschiedene Processe: das Ausziehen, d.h. das Anordnen der Fasern zu einem Faden; das Zusammendrehen od. Vereinigen der geordneten Fasern u. das Aufwinden od. Aufwickeln des Gesponnenen, damit es sich nicht verwirre. A) Mittel zum S. In den ältesten Zeiten spann man wohl blos mit den Fingern, ohne jedes Hülfswerkzeug; jetzt wird das Drehen u. Aus. winden gewöhnlich durch eine Spindel vermittelt u. nach der Bewegungs- u. Wirkungsweise dieser Spindel zerfällt das S.: a) S. mit der Handspindel (Spindel im engeren Sinne, s.d.); schon frühzeitig üblich u. noch jetzt in manchen Gegenden gebräuchlich, bes. zum S. des Flachses in Böhmen u. Schlesien u. in Ostindien zum S. der Baumwolle. Im alten Griechenland, wo man das S. von Athene erfunden glaubte, war es die Beschäftigung der edelsten Frauen, wiewohl auch Sklavinnen dazu gehalten wurden. Das Zurichten der Wolle war ein Geschäft der nächsten Umgebung der Herrin. Auch die Frauen im alten Rom beschäftigten sich mit S., u. auf diesen Gegenstand des weiblichen Fleißes hatten manche Gebräuche bei den Hochzeitsfeierlichkeiten Beziehung (s. Hochzeit); später aber überließ man das S. den Sklavinnen allein. Man wickelte die erst gereinigte, dann gekrämpelte u. gekämmte Wolle auf einen Rocken (Colus) u. spann dann auf die Svindel (Fusus). Das S. mit der Spindel geht langsam von Statten, liefert aber bei der nöthigen Sorgfalt u. Geschicklichkeit einen sehr schönen Faden. b) S. mit dem Spinnrade (s.d.); früher wurde Wolle u. Baumwolle überall auf dem Handrade gesponnen; Flachs spinnt man noch jetzt vielfach auf dem Trittrade. c) S. auf Spinnmaschinen (s.d.); hierbei wird der Faden stets durch eine fortschreitende Behandlung auf mehren Maschinen erzeugt; im einsachsten Falle sind zwei Maschinen nöthig, von denen die erste das Vorspinnen, die zweite das Feinspinnen besorgt; beim Vorspinnen wird aus den Fasern ein grober, lockerer, d.h. wenig gedrehter Faden (Vorgespinnst, Vorgarn), erzeugt, welchen man beim Feinspinnen weiter verfeinert u. nach Erfordern dreht, wodurch man dann den fertigen Faden (Garn) erhält. Meistens gehen dem Vorspinnen noch andere Arbeiten voraus. Das Wesentliche der Maschinenspinnerei, gegenüber der Handspinnerei mittelst der Spindel u. dem Spinnrade, liegt darin, daß das Aufziehen nicht durch Menschenhände, sondern mittelst der Maschine selbst erfolgt; dadurch kann man Fäden von größerer Regelmäßigkeit u. Gleichheit erzielen, u. da die Maschinen außerdem viele Fäden zugleich spinnen, so wird das Maschinengespinnst trotz des zusammengesetzten u. kostspieligen Verfahrens auch wohlfeiler als das Handgespinnst. B) Über das Verfahren u. die Geschichte des S-s der Baumwolle, des Flachses u. der Wolle, s. diese Artikel u. vgl. im Allgemeinen C. E. Jullien u. E. Lorentz, Nouveau manuel complet du filateur, ebd. 1843; Mich. Alcan, Essai sur l'industrie des matières textiles, Par. 1847 (deutsch, Quedlinb. u. Lpz. 1847, 2 Bde.); E. H. Schmidt, Lehrbuch der Spinnereimechanik, ebd. 1857. Bei der Seide kommt ein eigentliches S. nur in Bezug auf die Florettseide vor, wobei man sich theils des Handrades, theils verschiedener Spinnmaschinen bedient; vor dem S. wird die Florettseide gekrempelt. C) Die Eigenschaften eines guten Gespinnstes sind vor allem eine durchaus gleiche Dicke, ohne Knoten u. dünne Stellen; ferner entsprechende Glätte u. Freisein von vorstehenden Fasern, welche indessen bei kurzfaserigem Material schwieriger zu erreichen ist als bei langfaserigem; sodann ein nicht zu großer, aber auch nicht zu geringer Grad der Drehung (Drall, Draht), welche um so größer ist, je seiner der Faden u. je kurzfaseriger das Material ist, welche aber auch von der Bestimmung des Garnes abhängt; endlich eine entsprechende Festigkeit. 2) Auch aus anderen Stoffen, nachdem sie einigermaßen erweicht sind, z.B. aus Metall u. aus Glas, einen dünnen Faden ziehen. Bei dem Metall nennt man auch das Drahtziehen spinnen; über das S. des Glases s. Glas II. D); 3) einen Faden von Seide od. Zwirn mit Gold- od. Silberlahn umwinden, um hierdurch die Fäden zu Treffen u. Goldspitzen zu bekommen. Man hat dazu besondere Spinnmühlen. Eben so werden auch die stärkeren Saiten mancher Instrumente mit Lahn od. ganz dünnem Drahte u. zu Knöpfen ein Faden Seide mit dem anderen umwunden (übersponnen); 4) den zu Stecknadelköpfen bestimmten Draht auf Draht (Knopfspindel) von der Stärke der Nadelschäfte zu schraubenförmigen Röhrchen (Spindeln) aufwinden; 5) die Tabaksblätter zu einem Seile zusammendrehen u. daraus die Tabaksrollen machen; auch hierzu hat man eine Spinnmühle; 6) von einigen Thieren, namentlich von der Spinne dem Seidenwurme u. vielen anderen Raupenarten, einen klebrigen Saft, welchen sie in besonderen Gefäßen ihres Körpers haben, von sich geben u. diesen zu einem Faden ziehen, welcher an der Luft erhärtet; 7) S. des Kautschuks, besteht in der Verwandlung desselben in Fäden, bes. für die Zwecke der Verfertigung von Kautschukgeweben; man schneidet diese Fäden entweder aus Kautschukflaschen od. aus zusammengekneteten Blöcken u. erhält so viereckige Fäden; runde Fäden preßt man aus aufgeweichtem Kautschuk.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 560.
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