Introjection

[529] Introjection: Hineinlegung, Übertragung (»Projection«) des eigenen Ich, Subjectiven, der eigenen Lebendigkeit, Beseeltheit, des eigenen Fühlens und Wollens, des Innenseins auf Objecte der Außenwelt (s. Object) in und mit der Wahrnehmung derselben und in und mit dem Denken derselben nach Kategorien (s. d.). Die Introjection beruht psychologisch auf einem Proceß der Assimilation (s. d.), indem die Wahrnehmung des dem eigenen psychophysischen Ich Analogen die (nicht objectiv wahrgenommene, aber instinctiv reproducierte) »Innerlichkeit« des Ich (Vorstellung von dessen Fühlen und Streben) mit der Objectwahrnehmung zur Einheit verschmelzen läßt, so daß dieses nun unmittelbar (ohne Schluß) als ein ichartiges Wesen, Gegen-Ich, später als Kraftcentrum (s. d.) erscheint. Die Dinge (s. d.) sind hiernach »Qualitätencomlexe«, »Introjectionsqualitäten«.

Schon HUME erklärt: »Man beobachtet oft, daß der Geist große Neigung besitzt, sich selbst in die Gegenstände der Außenwelt zu projicieren« (Treat. III, sct. 14, S. 226). Die Introjection berücksichtigen in verschiedenem Umfange SCHOPENHAUER, SCHLEIERMACHER, BENEKE, RITTER, ÜBERWEG (Syst. d. Log., § 39), LOTZE (Mikrok. III2, 539), HORWICZ (Psychol. Analys. II 1, 145 ff.), NIETZSCHE, NOIRÉ (Einl. u. Begr. e. mon. Erk. S. 31 f., 169, 176), L. BUSSE, J. WOLFF, W. JERUSALEM, H. CORNELIUS (Einl. in d. Philos. S. 22), A. BIESE, A. H. LLOYD (Dynamic Idealism 1898), TEICHMÜLLER u. a. Vgl. Object) Kategorien, Kraft, Causalität, Urteil, Apperception (fundamentale).[529]

Der Terminus »Introjection« (»Einlegung«) stammt von R. AVENARIUS (Menschl. Weltbegr. S. 25 ff., 27). Er versteht darunter die Tatsache, daß der Mensch in seine Mitmenschen »Vorstellungen« von Umgebungsbestandteilen als »innere« Zustände hineinlegt, wodurch eine Spaltung der natürlichen Einheit der empirischen Welt in »Innen- und Außenwelt«, »Object und Subject«, eine »Verdoppelung« der Welt erfolgt (l.c. S. 28 ff.). So wird die Wirklichkeit »verfälscht«. Aufgabe der Wissenschaft ist es, diese Verfälschung durch die Introjection zu beseitigen, die Introjection zu eliminieren, zurückzunehmen (l.c. S. 77 ff.; vgl. S. 83 ff.). Durch »Ausschaltung« der Introjection und durch Ersetzung derselben durch die »empiriokritische Principialcoordination« (s. d.) wird der »natürliche Weltbegriff« restituiert (l.c. S. 93). Ein »Innensein« neben einem »Äußeren« gibt es hiernach nicht, ebenso keinen Gegensatz zwischen »psychisch« (s. d.) und »physisch«, nur einen Erfahrungsinhalt, bald »absolut«, bald »relativ« (s. d.) betrachtet. Die ursprüngliche, »natürliche« Annahme ist: »Der Mitmensch ist Centralglied einer Principialcoordination, deren Gegenglied z.B. ein Baum, aber auch Ich sein kann« (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 18. Bd., S. 147). Durch Introjection wird diese Annahme dahin verfälscht: »Alle wahrgenommenen Umgebungsbestandteile – als Wahrnehmungen – sind nichts als Vorstellungen in uns« (l.c. S. 153). Das Wahrnehmungsobject wird in den aussagenden Menschen (bezw. in dessen Gehirn) hineinverlegt (ib.). »Diese Introjection ist es, welche allgemein aus dem Vor mir ein In mir macht, aus dem Vorgefundenen ein Vorgestelltes, aus dem Bestandteil der (realen) Umgebung einen Bestandteil des (ideellen) Denkens, aus dem Baum mit seinen mechanischen Energien eine Erscheinung von jenem Stoff, aus welchem die Träume gewebt sind« (l.c. S. 154). Diese Introjection beruht auf einem Fehlschluß (l.c. S. 157 ff.). So auch F. CARSTANJEN, R. WILLY, J. PETZOLDT, J. KODIS, W. HEINRICH u. a. Dagegen erklärt W. JERUSALEM, die (wohlverstandene) Introjection gehöre zum natürlichen Weltbegriff, indem jede Auffassung mitmenschlicher als mehr als mechanischer Bewegungen, als Äußerungen von Gedanken, Gefühlen, Willensimpulsen, schon eine Introjection voraussetzt. »Ich muß mir im Innern des Menschen ein Kraftcentrum vorstellen, wenn ich seine Rede verstehen soll« (Urteilsfunct. S. 244 f.). Seine eigene Theorie des Urteils (s. d.) bezeichnet Jerusalem als »Introjectionstheorie« (l.c. S. 244; Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 18. Bd., S. 170). Vgl. Psychisch.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 529-530.
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