Ebner-Eschenbach

[344] Ebner-Eschenbach, Marie, Freifrau von, geborne Gräfin Dubsky, Dichterin und Novellistin, geb. 13. Sept. 1830 auf Schloß Zdislavic in Mähren, genoß ihre Erziehung teils in Wien, teils in Zdislavic und heiratete 1848 den Freiherrn Moritz v. C., damals Hauptmann im Geniekorps und Lehrer an der Kriegsschule zu Klosterbruck, später Feldmarschalleutnant. In der kinderlosen Ehe widmete sich Marie v. E. mit großem Eifer umfassenden literarischen und wissenschaftlichen Studien, und ihr frühzeitig sich offenbarendes Talent fand Ermunterung durch Grillparzer und Förderung durch Fr. Halm. Seit Mitte der 1860er Jahre wolmt sie ständig in Wien, 1900 erfuhr sie zu ihrem 70. Geburtstag zahlreiche Ehrungen. Der dichterische Ehrgeiz Marie v. Ebner-Eschenbachs galt anfänglich der Bühne; ihr Schauspiel »Maria Stuart in Schottland« wurde 1860 in Karlsruhe ausgeführt, während das Trauerspiel »Marie Roland« (1867), wie das vorige nur als Manuskript gedruckt, nicht auf die Bühne gelangte. Im Wiener Burgtheater wurden zwei Einakter von ihr: »Doktor Ritter« (Wien 1871) und »Die Veilchen« (das. 1878) gespielt; im Wiener Stadttheater ihr Schauspiel aus der modernen Wiener Gesellschaft. »Das Waldfräulein« (1873) und der Einakter: »Untröstlich« (1874). Doch konnte die Dichterin auf der Bühne bet aller Begabung nicht festen Faß fassen, und sie wandte sich daher der Erzählung zu. Ihre ersten Bücher: »Die Prinzessin von Banalien« (Wien 1872), ein satirisches Märchen, »Erzählungen« (Stuttg. 1875, 4. Aufl. 1901) und »Božena« (das. 1876, 6. Aufl. 1902) fanden indessen noch nicht viel Beachtung. Als sie aber mit heitern Sittenbildern der österreich ischen Aristokratie, den »Zwei Komtessen« (Berl. 1885, 6. Aufl. 1902), großes Aufsehen erregt hatte, wirkte ihr Ruhm auf die früher erschienenen Dichtungen zurück und steigerte sich noch, als die Dichterin in rascher Folge poesiereiche Novellen schrieb, die nicht bloß porträttreue Bilder des österreichischen Adels und seiner Umgebung in Stadt, Schloß und Dorf enthalten, sondern auch von einer hohen ethischen Gesinnung getragen und glänzend in der geistsprühenden Darstellung, fesselnd durch die Anmut des Humors sind. Es erschienen die Novellen: »Neue Erzählungen« (Berl. 1881, 3. Aufl. 1894; darunter die Meisterstücke: »Die Freiherren von Gemperlein«, »Nach dem Tode« und »Lotti, die Uhrmacherin«), »Dorf- und Schloßgeschichten« (das. 1883, 5. Aufl. 1902), »Neue Dorf- und Schloßgeschichten« (das. 1886, 3. Aufl. 1901), »Miterlebtes« (das. 1889, 3. Aufl. 1897), »Margarete« (Stuttg. 1891, 5. Aufl. 1901), »Drei Novellen« (Berl. 1892, 3. Aufl. 1901), »Das Schädliche. Die Totenwacht« (das. 1894), »Rittmeister Brand. Bertram Vogelweid« (das. 1896), »Alte Schule« (das. 1897), »Aus Spätherbsttagen« (das. 1901, 2 Bde.), »Agave« (das. 1903); die Romane: »Das Gemeindekind« (das. 1887, 7. Aufl. 1901), ihre bedeutendste Dichtung, »Unsühnbar« (das. 1890, 6. Aufl. 1902), »Glaubenslos?« (das. 1893, 3. Aufl. 1903). E. gilt jetzt mit Recht als die größte deutsche Schriftstellerin der neuesten Zeit.[344] Ausgehend von der Kritik des Adels, in dem sie aufgewachsen war, hat sie nach und nach zu allen Zuständen und Streitfragen ihrer Zeit Stellung genommen und das Ideal der Menschenliebe, ohne Rücksicht auf Nation und Konfession, und der tätigen Entsagung in den verschiedensten Variationen verkündet. Freimütig und tapfer, fesselt sie durch die Schönheit ihrer Seele, die sich als der Erwerb eines durch reiche Erfahrung zur Harmonie gelangten empfindsamen Herzens erweist. Außer den Novellen veröffentlichte sie die mit Recht berühmten »Aphorismen« (Berl. 1880, 5. Aufl. 1901), die gehaltvollen »Parabeln, Märchen und Gedichte« (das. 1892) und das Märchen »Hirzepinzchen« (Stuttg. 1900). Ihre »Gesammelten Schriften« erschienen in 8 Bänden (Berl. 1893–1901). Vgl. Bettelheim, Marie v. E., biographische Blätter (Berl. 1900); Necker, Marie v. E. nach ihren Werken geschildert (das. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 344-345.
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