Hausierhandel

[889] Hausierhandel, ein Wanderhandel, bei dem der Händler (Hausierer) mit seinen Waren von Haus zu Haus geht, um sie zum Verkauf anzubieten. Man unterscheidet lokalen H. und H. im Umherziehen, je nachdem die Hausierer ihre Geschäfte auf ihren Wohnsitz beschränken oder auch mit ihren Waren von Ort zu Ort ziehen. Zum H. im weitern Sinne rechnet man wohl auch die Handwerker und andre Personen, die Arbeitsleistungen im Umherziehen anbieten, wie die Scherenschleifer, Topfflicker etc. (Hausiergewerbe). Die für den Handel im allgemeinen zu rechtfertigende Gewerbefreiheit (s. d.) bedarf für den H. mancher Einschränkungen. Das Hausieren kann leicht nur einen Deckmantel der Landstreicherei und der Dieberei im Umherziehen bilden wie auch als Hilfsgeschäft der Hehlerei den Absatz gestohlener Sachen erleichtern. Dazu kommt die Möglichkeit der betrügerischen Übervorteilung der Käufer durch den spurlos verschwindenden Händler sowie der Umstand, daß gewisse Waren aus gesundheits- oder sicherheitspolizeilichen Gründen zum Verkauf im Umherziehen ungeeignet sind. Geboten ist daher eine Einschränkung in persönlicher und sachlicher Beziehung. Die Gewerbeordnung des Deutschen Reiches von 1869 hat diesen Anforderungen Rechnung getragen und die Bestimmungen durch die Novellen vom 1. Juli 1883 und 6. Aug. 1896 noch erheblich verschärft (§ 55–63). Danach ist für denjenigen, der außerhalb seines Wohnortes ohne Begründung einer gewerblichen Niederlassung und ohne vorgängige Bestellung Waren irgend einer Art feilbieten oder Bestellungen auf Waren aufsuchen will, ein Wandergewerbeschein vorgeschrieben. Dieser ist zu versagen, wenn der Nachsuchende mit einer abschreckenden oder ansteckenden Krankheit behaftet oder wegen gewisser Delikte (Eigentums-, Sittlichkeitsvergehen, Körperverletzung, Brandstiftung, Land- oder Hausfriedensbruch, Widerstand gegen. die Staatsgewalt, Übertretung gesundheits- und veterinärpolizeilicher Maßregeln) zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Monaten verurteilt ist und seit Verbüßung derselben noch nicht 3 Jahre verflossen sind; wenn er unter Polizeiaufsicht steht oder ein notorischer Bettler, Landstreicher oder Trunkenbold ist. Der Schein ist regelmäßig zu versagen, wenn der Nachsuchende das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (außer wenn er Ernährer einer Familie und bereits 4 Jahre im Handelsgewerbe tätig ist), sodann wenn er blind, taub oder geistesschwach ist. Er kann versagt werden, wenn der Nachsuchende keinen festen Wohnsitz im Inlande hat, wenn er wegen der oben angeführten Delikte zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 1 Woche verurteilt ist und seit Verbüßung noch nicht 5 Jahre verflossen sind; wenn er wegen Verletzung der auf den Gewerbebetrieb im Umherziehen bezüglichen Vorschriften im Laufe der letzten 5 Jahre wiederholt bestraft worden ist; wenn er Kinder besitzt, für deren Unterhalt, bez. Unterricht nicht genügend gesorgt ist. Ausgeschlossen sind vom H. Gifte, Arzneimittel, geistige Getränke, explosive Stoffe, gebrauchte Kleider, Betten, Gold- und Silbersachen, Wertpapiere, Lotterielose etc. Dann die Ausübung der Heilkunde seitens Nichtapprobierter, die Vermittelung von Darlehns- und Rückkaufgeschäften und der H. in Form der Abzahlungsgeschäfte. Gegenstände, die vom H. ausgeschlossen sind, dürfen auch durch den sogen. ambulanten Gewerbebetrieb, d. h. innerhalb des Wohnortes oder der gewerblichen Niederlassung von Haus zu Haus nicht feilgeboten werden (ausgenommen Bier und Wein in Flaschen und Fässern). Als Wandergewerbtreibende gelten auch die reisenden Schauspiel- und Zirkusgesellschaften, Karussellbesitzer, Drehorgelspieler etc. Dagegen ist für den Verkauf selbstgewonnener oder roher Erzeugnisse der Land- und Forstwirtschaft ein Wandergewerbeschein nicht nötig; ebensowenig zum Aufsuchen von Bestellungen bei Kaufleuten in deren Geschäftsräumen oder bei solchen Personen, in deren Geschäftsbetrieb Waren der angebotenen Art Verwendung finden. Die eigentliche Aufgabe des Hausierhandels im Umherziehen ist: entlegenen[889] Ortschaften Waren zuzuführen, die dort gar nicht oder nur zu übertrieben hohen Preisen zu haben sind, und den auf den auswärtigen Verkauf angewiesenen Produkten der Hausindustrie abgelegener Gegenden Absatz zu verschaffen. Soweit diese bei ungenügender Verkehrsentwickelung (so heute noch in gering bevölkerten Gegenden, wo ein ständiger Handel zu wenig lohnt) durch den H. erfüllt wird, leistet letzterer auch der Gesamtheit nützliche Dienste. Dagegen wird er mit steigender Kultur und Verbesserung des Transportwesens mehr und mehr entbehrlich. Dem H. in mancher Hinsicht verwandt ist ein Wanderhandel in größerm Betrieb, der erst in neuerer Zeit sich entwickelt hat und in der Form von Wanderlagern (s. d.) und Wanderauktionen auftritt. Seit 1873 wurde teils im Interesse einer gerechten Steuerverteilung gegenüber dem seßhaften Handel, teils auch in der Absicht, die Zahl der Hausierer zu mindern, in vielen deutschen Ländern der H. stärker zur Steuer herangezogen. In Österreich besteht eine noch mehr beschränkende Gesetzgebung (kaiserliches Patent vom 4. Dez. 1852, Verordnung vom 23. Dez. 1881), indem dort nur Österreicher zugelassen werden, die untere Altersgrenze in der Regel 30 Jahre beträgt, der Hausierpaß in allen Orten mit einer politischen oder Polizeibehörde vorzuzeigen ist etc. Weitere Beschränkungen sind seit 1894 geplant. In Frankreich ist der H. fast nur durch Rücksichten auf das Steuerwesen beschränkt. In England bedürfen die Hausierer nach der Pedlar Act von 1870 eines polizeilichen Erlaubnisscheines. Nach der Berufszählung vom 14. Juni 1895 wurden im Deutschen Reich 126,885 Hausierer gezählt, von denen etwas über ein Drittel weiblichen Geschlechts sind. Auf 1000 Einwohner kommen etwa 2,5, auf 1000 Erwerbstätige 6 Hausierer. Vgl. »Untersuchungen über die Lage des Hausiergewerbes«, in den Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 77–83 (Leipz. 1898–99); Stieda, Das Hausiergewerbe in Deutschland (Dresd. 1899).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 889-890.
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