Karlssage

[660] Karlssage (Karolingische oder Kerlingsche Sage), der an Karl d. Gr. sich anschließende Sagenkreis, der namentlich in Frankreich, als dessen eigentlich nationaler Held Karl d. Gr. im Mittelalter zu betrachten ist, vielfach epische Behandlung in volksmäßigem Stil erfahren hat. Haupttaten seines Lebens, seine Kämpfe mit den Sachsen (Widukind), sein Zug nach Spanien, ferner eine sagenhafte Fahrt nach Konstantinopel und dem Orient, sowie die auf ihn übertragenen Jugenderlebnisse Karl Martells: alles wurde in den wahrscheinlich in Nordfrankreich entstandenen sogen. »Chansons de geste« poetisch gestaltet (s. Französische Literatur, S. 5). Den meisten Ruhm von allen erlangte die spanische Expedition als »Rolandssage« (s. Roland). Von Frankreich aus verbreiteten sich die Sagen und Epen von Karl d. Gr. nach Holland, England, Skandinavien (»Karlamagnussaga«, hrsg. von Unger, Christiania 1860) und Italien, wo sie später die Dichter der Humanistenzeit (Bojardo, Ariosto etc.) zu umfangreichen Kunstepen anregten. Sogar in lateinischer Sprache wurden einzelne Dichtungen der K. nachgebildet. In Deutschland hat die K. weniger Bearbeitung gefunden; die älteste Dichtung ist das »Rolandslied« (vor 1139) des Pfaffen Konrad (s. Konrad); eine zyklische Bearbeitung, die Karls ganzes Leben auf Grund verschiedener älterer Dichtungen behandelt, ist unter dem Namen Karlmeinet (hrsg. von A. v. Keller, Stuttg. 1858; vgl. Bartsch, Über Karlmeinet, Nürnb. 1861) bekannt. Die französischen gereimten Dichtungen wurden im 14. Jahrh. in Prosa aufgelöst zu Romanen und Romanzyklen, die man im 16. Jahrh. wiederum zu den Volksbüchern verkürzte, welche die sogen. Bibliothèque bleue ausmachen. Gleicherweise entstanden im 15. und 16. Jahrh. nach französischer oder niederländischer Vorlage die deutschen, der K. angehörigen Erzählungen: »Loher und Maller«, »Die vier Haimonskinder«, »Fierabras« u. a., die sich lange in Ansehen erhielten. In der neuern Dichtung wurden die Sagen von Karl d. Gr. erst wieder durch die Romantiker lebendig. Nachdem Dorothea Schlegel mit ihrer Erneuerung von »Loher und Maller« vorangegangen war, bemächtigte sich Fouqué der K. als seiner besondern Domäne und dichtete die »Romanzen vom Tal Ronceval« (1808), das Schauspiel »Eginhard und Emma« (1811) und das Rittergedicht »Karls d. Gr. Geburt und Jugendjahre« (1816). Die schönste Erneuerung gab Uhland in einer Anzahl seiner Balladen. Nach ihm versuchten sich an Stoffen aus der K. Pfarrius in »Karlmann« (1841), O. F. Gruppe in »Kaiser Karl« (1852), Simrock in »Bertha die Spinnerin« (1853), M. M. v. Weber in »Rolands Gralfahrt« (1852). Vgl. G. Paris,Histoire poétique de Charlemagne (Par. 1865); P. Meyer, Recherches sur l'épopée française (das. 1867); Gautier, Les épopées françaises, Bd. 1 (2. Aufl., das. 1878); Rauschen und Loersch, Die Legende Karls d. Gr. im 11. u. 12. Jahrh. (Leipz. 1890).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 660.
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