Simrock

[483] Simrock, 1) Nikolaus, Begründer eines der größten Musikalienverlagsgeschäfte Deutschlands, geb. 1750 in Mainz, gest. daselbst 1832, kam als Musiker mit der kurfürstlichen Kapelle nach Bonn, begann Noten zu stechen und (etwa seit 1770) auch in einer eignen kleinen Offizin zu drucken. Unter anderm ließ Beethoven, zu dem S. persönliche Beziehungen hatte, eine Reihe seiner Kompositionen bei S. erscheinen. Sein Sohn und Geschäftsnachfolger Joseph S. (1792–1868), der schon seit 1820 eine Filiale in Köln geleitet hatte, erweiterte das väterliche Geschäft bedeutend und verlegte namentlich die Werke von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Josephs Sohn und Nachfolger Friedrich August S. (geb. 2. Jan. 1837, gest. 20. Aug. 1901), der schon seit 1861 in Berlin eine Musikaliensortimentshandlung betrieb, gab die Notenstecherei und den Druck auf und siedelte mit dem Verlag nach Berlin über, wo dieser einen großen Aufschwung nahm (Werke von Brahms, Dvořak, Max Bruch, Joh. Strauß, Fr. Kiel u. a.). Im Januar 1902 wurde das Geschäft in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt, deren Leiter Hans S. (geb. 17. April 1861), der Neffe des letztgenannten, wurde. Zweigniederlassungen in Leipzig und Köln.

2) Karl Joseph, Dichter und Germanist, geb. 28. Aug. 1802 in Bonn, gest. daselbst 18. Juli 1876, studierte auf der Universität seiner Vaterstadt Rechtswissenschaft und hörte daneben A. W. v. Schlegels Vorlesungen über deutsche Literatur und Sprache. Seit 1822 setzte er in Berlin, namentlich unter Lachmann, seine Studien fort; 1826 trat er als Referendar beim Kammergericht in den Staatsdienst ein. Seine erste größere Arbeit war die Übersetzung des »Nibelungenlieds« (Berl. 1827; 58. Aufl., Stuttg. 1906), der die Übersetzung des »Armen Heinrich« von Hartmann von Aue (Berl. 1830; 2. Aufl., Heilbr. 1875) und eine kleine Sammlung von Romanzen folgte. Da er die Julirevolution in einem Gedicht: »Die drei Farben«, mit Begeisterung begrüßt hatte, erhielt er durch Kabinettsorder des Königs seine Entlassung aus dem Staatsdienst. Er blieb noch zwei Jahre in Berlin und ließ sich dann 1832 in Bonn nieder, wo er sich literarischen Arbeiten widmete, später sich auch an der Universität habilitierte und 1850 zum ordentlichen Professor der altdeutschen Literatur ernannt wurde. Seine Haupttätigkeit, zu der ihn poetische Anlagen und tiefreichende gelehrte Bildung gleichmäßig befähigten, galt der Übertragung alt- und mittelhochdeutscher Dichtungen in die neuhochdeutsche Sprache. Den angeführten Übersetzungen schlossen sich an: »Zwanzig Lieder von den Nibelungen, nach Lachmanns Andeutungen wiederhergestellt« (Bonn 1840); die »Gedichte Walthers von der Vogelweide« (Berl. 1833, 2 Bde.; 8. Aufl., Leipz. 1894); »Parcival und Titurel« von Wolfram von Eschenbach (Stuttg. 1842, 6. Aufl. 1883); »Reineke Fuchs« (Frankf. 1845, 2. Aufl. 1847); »Der gute Gerhard von Köln« von Rudolf von Ems (das. 1847, 2. Aufl. 1864); »Die Edda« (Stuttg. 1851, 10. Aufl. 1896); »Tristan und Isolde« von Gottfried von Straßburg (Leipz. 1855, 2 Bde.; 2., mit Fortsetzung und Schluß vermehrte Auflage 1875); »Heliand« (Elberf. 1856; 3. Aufl., Berl. 1882); »Beowulf« (Stuttg. 1859); »Der Wartburgkrieg« (das. 1858); »Lieder der Minnesinger« (Elberf. 1857); »Freidanks Bescheidenheit« (Stuttg. 1867); »Loher und Maller«, Ritterroman (das. 1868); Sebastian Brants »Narrenschiff« (Berl. 1872) u. a. Doch auch auf andern Gebieten der Literatur versuchte sich S. mit Glück. So vereinigte er sich mit Echtermeyer und Henschel zur Abfassung des Werkes: »Die Quellen des Shakespeare in Novellen, [483] Märchen und Sagen« (Berl. 1831, 3 Tle.; 2. Aufl., Bonn 1870, 2 Bde.), dem sich die »Italienischen Novellen« (Berl. 1832; 2. Aufl., Heilbr. 1877) anschlossen. Ferner gab er auf Grund der ältesten Ausgaben eine Bearbeitung der »Deutschen Volksbücher« (Berl. 1839–43; dann Frankf. 1844–67, 13 Bde.; Bd. 1–10 in 2. Aufl. 1876–80; Auswahl in 2 Bdn. 1869) heraus und stellte das alte »Puppenspiel vom Doktor Faust« in seiner ursprünglichen Gestalt her (Frankf. 1846; 3. Ausg., zugleich mit dem Volksbuch, Basel 1903). Aus seinen Studien zur alten Heldensage entstand sein »Heldenbuch« (Stuttg. 1843 bis 1849, 6 Bde.), das zunächst das Epos »Gudrun« (17. Aufl. 1906) und das »Nibelungenlied« (s. oben) enthält, dann das »Kleine Heldenbuch« (4. Aufl. 1884, mit den Dichtungen: »Walther und Hildegunde«, »Alphart«, »Der hörnerne Siegfried«, »Der Rosengarten«, »Das Hildebrandslied«, »Ortnit« und »Hug- und Wolfdietrich«), endlich das den Sagenkreis Dietrichs von Bern umfassende »Amelungenlied«, zu dem das bereits 1835 erschienene Gedicht »Wieland der Schmied« (3. Aufl., Stuttg. 1851) die Einleitung bildet. Der Stoff zum »Amelungenlied« war in der nordischen Thidrekssaga gegeben, Anordnung und Ausführung aber ist ganz Simrocks Werk. Von Shakespeares Dramen übersetzte er »Macbeth« (Stuttg. 1842) und eine Anzahl andrer für die sogen. Dingelstedtsche Shakespeare-Ausgabe (Hildburgh. 1866–70); ferner »Shakespeares Gedichte« (Stuttg. 1867) und aus dem Schwedischen Tegnérs »Frithjofssage« (4. Aufl., das. 1883). Viele seiner eignen Dichtungen finden sich in den »Rheinsagen aus dem Munde des Volkes und deutscher Dichter« (Bonn 1836, 10. Aufl. 1891); selbständig erschienen: »Bertha die Spinnerin« (Frankf. 1853); »Legenden« (Bonn 1855, 3. Aufl. 1876); »Gedichte« (Leipz. 1844; neue Auswahl, Stuttg. 1863) und die von patriotischer Empfindung durchströmten »Deutschen Kriegslieder« (Berl. 1870). S. gehört zu jenen sangesfrohen Dichtern des Rheinlandes, in deren Gedichten sich der romantische Reiz und der tiefsinnige Sagenreichtum ihrer Heimat widerspiegeln. Glut der Farbe findet man bei ihm selten; doch entschädigen dafür die heitere Weltanschauung, der Humor und die mannhafte Gesinnung seiner Lieder und Balladen. Von Simrocks prosaischen Schriften erwähnen wir das »Handbuch der deutschen Mythologie« (Bonn 1853–55, 6. Aufl. 1887), das »Altdeutsche Lesebuch« (2. Aufl., das. 1859), das »Altdeutsche Lesebuch in neudeutscher Sprache« (Stuttg. 1854, 2. Aufl. 1884), »Das malerische und romantische Rheinland« (4. Aufl., Bonn 1865) u. a. Außerdem veröffentlichte er: »Die deutschen Sprichwörter« (Stuttg. 1846; 4. Aufl., Basel 1881); »Deutsches Kinderbuch« (Frankf. 1848, 3. Aufl. 1879); »Die geschichtlichen deutschen Sagen« (das. 1850; 2. Aufl., Basel 1886); »Die deutschen Volkslieder« (Frankf. 1851; 2. Aufl., Basel 1887); »Deutsche Sionsharfe« (Elberf. 1857); »Die Nibelungenstrophe und ihr Ursprung« (Bonn 1858); »Das deutsche Rätselbuch« (3. Aufl., Frankf. 1874); »Deutsche Weihnachtslieder« (Leipz. 1859); »Lieder vom deutschen Vaterland aus alter Zeit« (Frankf. 1863, neue Ausg. 1871); »Deutsche Märchen« (Stuttg. 1864) u. a. Eine Sammlung »Ausgewählter Werke« Simrocks gab G. Klee heraus (Leipz. 1907, 12 Bde.). Ein Denkmal (von A. Küppers) wurde ihm 1903 in Bonn errichtet. Vgl. Hocker, Karl S. (Leipz. 1877); Düntzer, Erinnerungen an Karl S. (in Picks »Monatsschrift für die Geschichte Westdeutschlands«, Trier 1876 u. 1877).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 483-484.
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