Parnell

[462] Parnell, Charles Stewart, irischer Politiker, geb. 1846 zu Avondale in der irischen Grafschaft Wicklow, aus protestantischer Familie, gest. 6. Okt. 1891 in Brighton, studierte zu Cambridge, übernahm 1871 das väterliche Gut und ward 1875 für South Meath ins Parlament gewählt. Innerhalb der Partei der Homeruler, der er sich anschloß, gehörte er zu den entschiedensten Gegnern der englischen Herrschaft. In dem kleinen Häuflein der sogen. Obstruktionisten, die durch systematische Verzögerung der parlamentarischen Geschäfte die Regierung zwingen wollten, die irischen Wünsche zu erfüllen, spielte P. nach kurzer Zeit die erste Rolle, und seine demagogische Beredsamkeit machte ihn in der Heimat überaus populär. Als 1879 der ungünstige Ausfall der Ernte einen Notstand in Irland befürchten ließ, trat P. an die Spitze der Landliga, die sich eine radikale Reform der Grundbesitzverhältnisse zur Aufgabe stellte, begab sich im Januar 1880 nach Amerika, feuerte die dortigen Iren zur Unterstützung der irischen Sache an und erlangte ansehnliche Geldmittel. Heimgekehrt, wurde er nach den Neuwahlen 17. Mai 1880 zum Führer der auf 68 Mitglieder angewachsenen Homerulepartei gewählt. Nach dem Schlusse der Parlamentssession und nach Verwerfung der von der Regierung eingebrachten Bill zum Schutz irischer Pächter (August 1880) entfaltete die von P. geleitete Landliga eine ungemeine Tätigkeit, und er selbst wurde als der »ungekrönte König« der grünen Insel gefeiert. Die Regierung klagte ihn des Landesverrats an, konnte aber von den Geschwornen keine Verurteilung erreichen. Im Oktober 1881 ließ sie ihn verhaften und im Kilmainhamgefängnis in Dublin einkerkern, gab ihn aber im Mai 1882 frei, nachdem er gegen Zugeständnisse in der Pachtfrage Mäßigung versprochen hatte. Als Anerkennung für seine Verdienste wurden 1883–84 von den Iren 40,000 Pfd. Sterl. als Fonds für P. gesammelt. Bei den Neuwahlen 1885 brachte er seine Anhänger im Parlament, die Parnelliten, auf die Zahl von 85 und unterstützte die Konservativen, wodurch er Gladstones Sturz herbeiführte. Er spielte seitdem eine maßgebende Rolle im Parlament und bewog Gladstone 1886 zur Annahme der wichtigsten Forderungen des Homeruleprogramms, die auf ein irisches Parlament und legislative Unabhängigkeit Irlands gerichtet waren. Gladstone stürzte nun zwar mit Unterstützung der Iren die konservative Regierung (26. Jan. 1886), unterlag aber seinerseits der Koalition der von ihm abgefallenen unionistischen Liberalen und der Tories und blieb auch bei den Neuwahlen im Juli, aus denen 86 Anhänger Parnells hervorgingen, in der Minderheit. Gegen das Ministerium Salisbury führte nun P. einen erbitterten Kampf und ging auch aus der durch ein Gesetz vom 11. Aug. 1888 angeordneten Untersuchung über seine Mitschuld an den in Irland vorgekommenen politischen Verbrechen ohne Schädigung seiner Stellung hervor, indem eine Reihe angeblicher Briefe von ihm, welche die »Times« veröffentlicht hatte, als gefälscht entlarvt wurden (vgl. Dicey, »The Verdict; a tract on the political significance of the report of the P. commission«, Lond. 1890). Allein ein andrer Prozeß, der bald darauf gegen ihn eingeleitet wurde, ward ihm gefährlicher; am 17. Nov. 1890 wurde P. von den Londoner Geschwornen des Ehebruchs mit der Gattin seines vertrauten Freundes, des irischen Kapitäns O'Shea, schuldig gesprochen. Zwar wählten ihn nichtsdestoweniger die Mitglieder der irischen Homerulepartei abermals zu ihrem Führer; allein innerhalb ihrer liberalen Bundesgenossen machte[462] sich eine lebhafte Bewegung gegen ihn geltend, und Gladstone erklärte, daß er keinen fernern Verkehr mit P. pflegen könne und sich von dem Kampfe für irische Selbstregierung zurückziehen würde, wenn dieser die Führung seiner Partei behalte. P. weigerte sich, auf seine leitende Stellung zu verzichten, wurde aber nach langen und erbitterten Verhandlungen innerhalb der Partei von deren Mehrheit 8. Dez. der Führerschaft entsetzt, indem nur etwa 30 Abgeordnete ihm treu blieben. Die Spaltung der irischen Partei in Parnelliten und Antiparnelliten dauerte auch nach dem Tode Parnells, der sich inzwischen mit der von ihrem Manne geschiedenen Frau O'Shea vermählt hatte, bis zu ihrer Wiedervereinigung 1900. Obwohl Protestant, wurde P. auf dem katholischen Friedhof von Glasnevin bei Dublin bestattet. Vgl. Walsh, A memorial volume to Charles Stewart P. (New York 1892); O' Brien, Life of Ch. St. P. (2. Aufl., Lond. 1899); Bryce, Studies in contemporary biography (das. 1903); Emmy Dickinson (Parnells Schwester), A patriot's mistake (das. 1906).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 462-463.
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