Urkundenprozeß

[962] Urkundenprozeß nennt man dasjenige (summarische) Verfahren, das bei sofort urkundlich erweisbaren Forderungen zulässig ist und das dem Gläubiger den Vorteil schleuniger Zwangsvollstreckung gewährt. Der U. verdankt seine Entstehung der italienischen Rechtswissenschaft des Mittelalters, die bei sogen. guarentigiierten Schuldurkunden, d. h. bei solchen Schuldbriefen, die notariell beglaubigt und mit der Hilfsvollstreckungs- oder Exekutivklausel versehen waren, die sofortige Zwangsvollstreckung zuließ. Diese in der Erklärung des Schuldners, daß er sich für den Fall nicht rechtzeitiger Zahlung der sofortigen Exekution unterwerfe, bestehende Klausel wurde später aufgegeben, indem man ein besonders schleuniges Verfahren (summarischen Prozeß) zum Zweck einer schnellen Herbeiführung der Zwangsvollstreckung auf[962] Grund von Schuldurkunden überhaupt zuließ. So bildete sich im gemeinen Recht der U. (oder Exekutivprozeß) aus, der dann auch in neuere Prozeßordnungen, insbes. in die deutsche Zivilprozeßordnung überging, die in den § 592–605 vom Urkunden- und Wechselprozeß handelt. Nach diesen Vorschriften darf die manchmal als Exekutivklage bezeichnete Klage im U. auf Grund eines Anspruchs erhoben werden, der die Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder die Leistung einer bestimmten Quantität andrer vertretbarer Sachen oder Wertpapiere zum Gegenstand hat, sofern sämtliche zur Begründung des Anspruchs erforderliche Tatsachen durch Urkunden bewiesen werden können. Als Anspruch, der die Zahlung einer Geldsumme zum Gegenstand hat, gilt auch der Anspruch aus einer Hypothek, einer Grundschuld oder einer Rentenschuld. Die Klage muß »im U.« erhoben, die betreffenden Urkunden müssen ihr in Urschrift oder in Abschrift beigefügt sein. In dem Verhandlungstermin hat der Kläger jene Urkunden vorzulegen, der Beklagte sich bei Vermeidung des anzunehmenden Anerkenntnisses über deren Echtheit zu erklären. Der Kläger muß die Echtheit der Urkunden nötigenfalls beweisen und zwar durch anderweite Urkunden oder durch Eidesantrag, ebenso der Beklagte seine Einreden. Auf Grund des ergehenden Urteils kann sofort die Zwangsvollstreckung eingeleitet werden. Dem Beklagten ist aber die Ausführung seiner Rechte vorzubehalten, wenn er dem klägerischen Anspruch widersprochen, jedoch den Urkundenbeweis für seine Einwendungen nicht antreten kann. Der Prozeß wird alsdann im ordentlichen Verfahren fortgesetzt (vgl. Hauptverfahren). Eine Unterart des Urkundenprozesses ist der Wechselprozeß (s. d.). Vgl. Stein, Der Urkunden- und Wechselprozeß (Leipz. 1887); Kohler, Prozeßrechtliche Forschungen, S. 113 ff. (Berl. 1889).

Die österreichische Zivilprozeßordnung kennt einen Urkunden- und Wechselprozeß nicht. Wenn die Tatsachen, auf die sich die Klage stützt, durch Urkunden bestimmter Art, z. B. öffentliche Urkunden oder beglaubigte Privaturkunden, bewiesen werden, findet aber nach den § 548–554 ein Mandatsverfahren statt. In diesem Verfahren wird gegen den Beklagten ein Zahlungsauftrag erlassen, durch den ihm aufgegeben wird, binnen 14 Tagen den Gläubiger zu befriedigen oder seine Einwendungen zu erheben. Bezüglich dieser Einwendungen ist eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung anzuordnen, auf Grund deren ein den Zahlungsauftrag aufrecht erhaltendes oder ein ihn aufhebendes Urteil ergeht. In den § 555–559 ist das »Verfahren in Wechselstreitigkeiten« geregelt. Auch in diesem Verfahren wird ein Zahlungsauftrag erlassen. (Vgl. Wechselprozeß.)

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 962-963.
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