Venus [2]

[29] Venus, der zweite Planet des Sonnensystems, der glänzendste aller Sterne, schon im Altertum als Hesperos (Abendstern) und Phosphoros (Luzifer, Morgenstern) allbekannt; doch soll erst Pythagoras die Identität beider erkannt haben. Da Merkur und V. sich innerhalb der Erdbahn um die Sonne bewegen, so zeigen sie uns einen ähnlichen Wechsel der Lichtgestalt (Phasen) wie unser Mond; vgl. Planeten, S. 5 (scheinbare Bewegung). Indessen sind diese Phasen dem bloßen Auge nicht sichtbar, und erst Galilei hat 1610 durch das Fernrohr die Sichelgestalt der V. erkannt. Die Bahn der V. ist gegen die Ekliptik um 3°23,6' geneigt und weicht unter allen Planeten am wenigsten von einem Kreis ab, ihre Exzentrizität beträgt nur 0,00682, die mittlere Entfernung 0,72333 mittlere Erdbahnhalbmesser = 108,1 Mill. km. Diese Bahn durchläuft V. in 224,701 Tagen mit einer Geschwindigkeit von 35 km in der Sekunde. Der Erde kommt sie zur Zeit ihrer untern Konjunktion näher als irgendein andrer Planet, bis auf 42 Mill. km, in der obern Konjunktion ist sie 258 km von ihr entfernt. Die größte Helligkeit zeigt V. nicht zu der Zeit, wenn sie uns ihre vollständig beleuchtete Scheibe zukehrt, weil sie dann am weitesten von uns entfernt ist, auch nicht in ihrer größten Erdnähe (in der untern Konjunktion), weil sie uns hier ihre dunkle Seite zukehrt, sondern ungefähr 38 Tage vor und nach der untern Konjunktion. Ihr scheinbarer Durchmesser ist dann nur ungefähr 40'' und die größte Breite der Lichtgestalt kaum 10''; aber die Lichtstärke ist so groß, daß sie am hellen Mittag mit bloßem Auge gesehen werden kann; im ganzen schwankt ihre Helligkeit nach Müller aber nur um 11/2 Größenklasse. Infolge der wechselnden Entfernung schwankt der scheinbare Durchmesser zwischen 9,3 und 58,1''; im mittlern Abstand der Erde von der Sonne beträgt er nach Auwers 16,801''. Danach ist ihr wahrer Durchmesser = 0,955 Erddurchmesser = 12,200 km und ihr Volumen 0,87 von dem der Erde. Die Masse der V. beträgt nach Newcomb 1/408000 der Sonnenmasse = 0,795 der Erdmasse, die Dichte 0,93 von der Erde oder 5,1 von der des Wassers; die Schwerkraft auf der Oberfläche der V. 0,87 von der auf der Erde. Eine Abplattung ist bei der V. nicht wahrgenommen worden. Aus der Beobachtung einiger matter Flecke auf der Scheibe des Planeten, namentlich aber aus der regelmäßigen Wiederkehr einer Abstumpfung des südlichen Horns der Lichtgestalt haben bereits Cassini (1667), Bianchini, Schröter und De Vico eine Rotationsdauer von 23 Stunden 21 Minuten bestimmt, Schiaparelli glaubte aber eine solche von 225 Tagen annehmen zu müssen, wonach V. dieselbe Erscheinung wie Merkur und der Mond zeigen würde, daß Rotationsdauer und Umlaufszeit übereinstimmt. Die neuesten Beobachtungen machen jedoch eine Rotationsdauer von 23 Stunden 57,6 Minuten wahrscheinlicher. Für die Anwesenheit einer Atmosphäre auf der V. sprechen das nebelartige Aussehen der Flecke und die auffallende Abnahme des Lichtes nach der Lichtgrenze hin; wahrscheinlich schwebt in der Atmosphäre eine sehr dichte und dicke Schicht von Kondensationsprodukten, auch das Spektrum der V. läßt auf die Anwesenheit von Wasserdampf schließen. V. besitzt keinen Mond, doch wollten Fontana, Cassini, Short u. a. einen solchen angeblich beobachtet haben, jedoch beziehen sich diese Beobachtungen nach den Untersuchungen von Stroobant auf kleine Sterne, die in der Nähe der V. gestanden hatten. Wie bei dem Merkur, so findet auch bei der V., wenn ihre untere Konjunktion in der Nähe eines Knotens ihrer Bahn stattfindet, ein sogen. Durchgang durch die Sonne statt, wobei der Planet, selbst dem bloßen Auge sichtbar, in Gestalt einer kleinen schwarzen Scheibe von O. nach W. über die Sonne zieht. Diese Durchgänge treten viermal in einem Zyklus von 243 Jahren auf, und zwar nach 8, 1051/2, 8 und 1211/2 Jahren. Bei der jetzigen Bahnlage können dieselben nur im Juni und Dezember auftreten. Die letzten und nächsten Durchgänge sind:


1761, 6. Juni

1769, 3. Juni

1874, 9. Dez.

1882, 6. Dez.

2004, 8. Juni

2012, 6. Juni

2117, 11. Dez.

2125, 8. Dez.


Dieselben sind von besonderer Wichtigkeit, weil ihre Beobachtung ein sehr zuverlässiges Mittel zur Bestimmung der Sonnenparallaxe und damit der Entfernung der Sonne von der Erde (vgl. Sonne, S. 600) bildet, wie zuerst Halley 1677 bemerkt hat. Zum erstenmal wurde ein solcher Durchgang 4. Dez. 1639 von Horrox und Crabtree in England beobachtet. Die Durchgänge des 18. und 19. Jahrh. sind vielfach beobachtet worden, nachdem fast alle Nationen Expeditionen ausgesandt hatten, an den beiden letzten hat namentlich auch Deutschland regen Anteil genommen. Vgl. Auwers, Die Venusdurchgänge 1874 und 1882 (Berl. 1887–96, 5 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 29.
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