Dritte Abtheilung

Stalo-Sagen


Friis gibt in seinen »Lappiske Eventyr og Folkesagn« die folgende Schilderung von Stalo:

»Ein mehr menschliches Wesen als Jetanas war der Stalo. Nichtsdestoweniger besaß auch dieser eine große Vorliebe für Menschenfleisch und deshalb war das Zusammentreffen mit ihm sehr gefährlich. Er wird übrigens als ein großer wohlbewaffneter Mann geschildert, dem man häufig in Einöden oder Wäldern begegnete. Er war gewöhnlich mit einem rothen Rocke bekleidet und trug einen silbernen Gürtel, woran ein großes Messer mit silbernem Schafte hieng. Außerdem hatte er noch zahlreiche andere Zieraten aus demselben Metall an sich hängen, sowie er auch stets einen großen Beutel mit Silbergeld bei sich führte. Sein steter Begleiter war ein Hund, der sorgfältig Acht gab, daß ihn Niemand im Schlafe überfiel. Allein obwohl Stalo größer, stärker und besser bewaffnet war, als die kleinen Lappen, ließ er sich doch in Folge seiner Dummheit, Leichtgläubigkeit oder Plumpheit oft von diesen überlisten, wenn zufällig einer von ihnen in seine Gewalt kam; besonders geschah ihm dies oft von den sogenannten Gudnavirutschak (Aschengräbern, Aschenputteln), welche ihre meiste Zeit damit zubrachten, nicht nur in der Herdasche herumzuwühlen, sondern auch den Leuten allerlei Schelmenstreiche zu spielen.

Zuweilen ereignete es sich, daß einer oder der andere wegen seiner Stärke bekannte Lappe von Stalo zum Zweikampf herausgefordert wurde, und in diesem Falle half es nichts, wenn er[129] denselben auch ablehnte, denn er wurde dann fortwährend von Stalo verfolgt und schließlich von ihm ermordet. Ehe ein solcher Zweikampf begann, pflegten die Kämpfenden erst einander zu offenbaren, wo ihre Schätze verborgen lagen, und der Sieger behielt das ganze Gut des Gefallenen, wie dies auch bei den Holmgängen der alten Vikinger der Fall war. Dergleichen im Kampf mit Stalo erworbenes Silber hieß Stalo-silba (Stalosilber). Laestadius erzählt, daß im schwedischen Lappmarken sich noch zu seiner Zeit derartiges von Vater auf Sohn vererbtes Stolasilber vorfand. Es bestand besonders aus Knöpfen und Spangen, welche die Lappen an ihre Gürtel befestigten. Die Form dieser Silberzieraten war ganz verschieden von der Form derjenigen, die bei den Lappen jetzt in Gebrauch sind oder es früher waren.

In den Zweikämpfen mit Stalo wurde der als Sieger betrachtet, welcher den Andern zu Boden warf, und er hatte das Recht, denselben zu tödten. Dies geschah in Bezug auf Stalo gewöhnlich mit seinem eigenen silberschäftigen Messer, Schwert oder Beil; denn mit anderen Waffen war er nicht leicht verwundbar. Auch seinen Hund mußte man todtschlagen; denn wenn dieser seines Herrn Blut zu lecken bekam, so lebte derselbe wieder auf. Blieb Stalo Sieger, so war er nicht verpflichtet, den Lappen zu begraben, sondern konnte ihn liegen lassen oder in's Wasser werfen; Stalo dagegen bedang sich jederzeit aus, daß der Lappe, im Falle er siegte, ihn ordentlich begraben solle. Der Lappe, der einen Stalo überwunden hatte, mußte auch dessen zwei Brüder oder im Ganzen drei Stalos erlegen; denn eher fand er weder Ruhe noch Frieden. War ihm aber Jenes gelungen, so brauchte er nachher nie wieder einen Stalo zu fürchten, wobei er außerdem natürlich in den Besitz unermeßlicher Schätze kam.

Die Lappen weisen noch mehrere Stellen, wo dergleichen Zweikämpfe stattgehabt und Stalos begraben sein sollen. Man[130] sagt, die an solchen Orten gefundenen Menschengebeine seien doppelt so groß gewesen wie die der Lappen.

Das Verhältniß zu Stalo war jedoch nicht immer feindlich und zuweilen geschah es, daß der Sohn eines Lappen eine Stalotochter zum Weibe nahm. Laestadius berichtet, ›daß vor nicht langer Zeit in Jukkajärvi eine Lappin lebte, welche im 24. Gliede von Stalo abzustammen behauptete. Rechnet man drei Glieder auf jedes Jahrhundert, so müßte der Stalo, den sie für ihren Ahnherrn ansah, ungefähr um das Jahr 1000 nach Chr. Geb. gelebt haben.‹ Hieraus sowohl, wie aus mancherlei Umständen, welche in den Sagen vorkommen, ist leicht zu ersehen, daß diese Stalos ursprünglich nichts anderes gewesen sind als altnordische Vikinger1, die in dem norwegischen und schwedischen Lappland umherstreiften, um zu rauben und zu plündern. Stahl heißt auf lappisch stale oder stalle2 und Stal(l)o (Plur. Stal[l]ok) bedeutet daher soviel wie ›Stahlmann‹ oder ›der in Stahl Gehüllte,‹ wozu auch noch kommt, daß man in den Erzählungen der Lappen von Stalo oft auch dem Ausdrucke ›ruovde-gakte‹ d.i. Eisenrock begegnet, weil Stalo einen solchen trug.

Man hat also ganz deutlich einen alten Nordlandskrieger mit seinem Panzerhemd oder der Brünne vor sich. Auch die Heldengewohnheit hatte Stalo, daß, wenn er einmal von einem Lappenkämpen zu Boden geworfen war, er nicht wieder aufstand, sondern ruhig liegen blieb, bis Jener Messer oder Axt herbeigeholt,[131] um ihm das Leben zu nehmen, wobei man wiederum an die Vikinger denkt.«

Zu dieser Schilderung kann noch hinzugefügt werden, daß Stalo (auch Stalu geschrieben) einsam und abgeschieden von den Menschen lebt und bisweilen einäugig oder blind ist (woher auch die Ausdrücke: »stalostet« als Einsiedler leben und »stalostallet« Blindekuh spielen, stammen); er hat immer große Furcht vor dem »Zischfische«, der Schlange.

Ein Zug in der Charakteristik Stalo's, auf den v. Düben mit Recht Gewicht legt, besteht darin, daß Stalo ein Ackerbauer und oft reich ist. »Dies deutet darauf hin, daß Stalo's Vorbild anderen Stammes ist.« Auch ist Stalo im Wesentlichen identisch mit den Riesen (jetanas), die ja, wie schon oben S. 36 ff. bemerkt, ebenfalls nicht ursprünglich lappisch sind.

Stalo's Frau heißt Lohdats (Luhdats, Ludats, Ludak) d.h. Wanze – Stalo selbst nennt sie gewöhnlich seine »Nanna« (Njanje), d.h. Geliebte –, hat die Gestalt dieses Thieres, ist sehr kurzsichtig und wird zuweilen dadurch blind, daß sie ihre Augen unter der Thürschwelle verbirgt. Sie wird immer als ein dummes, dabei aber böses, altes Weib dargestellt, das den Menschen gleich einem Vampyr Blut aussaugt – daher auch ihr Name; sie bewerkstelligt dies mit Hilfe eines eisernen Rohres, ruovdde-bocce genannt.

Nach dem Volksglauben konnte auch jeder Zauberer oder Jeder, der einigermaßen in Zauberkünste eingeweiht war, sich zu einem Stalo machen, indem er sich von dem Taufbunde lossagte. Man wusch sich Gesicht und Kopf, um sich der Taufe und des Zeichens des Kreuzes zu entledigen; so wurde man zu einem Stalo und konnte als solcher den Menschen allerlei Schlimmes zufügen.

1

Vgl. Poestion, das Tyrfingschwert. Eine altnordische Waffensage (Hagen und Leipzig 1883), S. 132–145.

2

Das Wort stalle (gemeinlappisch: stale), wie überhaupt die Namen der Metalle, haben die Lappen dem nordisch-germanischen Sprachschatze entlehnt; es lautet altnordisch stál, dänisch und schwedisch stal; vgl. auch W. Thomsen, Ueber den Einfluß der germanischen Sprachen auf die finisch-lappischen. Aus dem Dänischen übersetzt von E. Sievers (Halle, 1870), S. 43 und 78.

Quelle:
Poestion, J. C.: Lappländische Märchen, Volkssagen, Räthsel und Sprichwörter. Wien: Verlag von Carl Gerolds Sohn, 1886, S. 126-132.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis ist eine freigelassene Sklavin, die von den Attentatsplänen auf Kaiser Nero wusste. Sie wird gefasst und soll unter der Folter die Namen der Täter nennen. Sie widersteht und tötet sich selbst. Nach Agrippina das zweite Nero-Drama des Autors.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon