Freier Wille

[676] Freier Wille, 1) s.u. Freiheit; 2) (Arbitrium li berum), das sittliche Vermögen, sich selbständig u. unabhängig zu seinen Handlungen zu bestimmen. Die Lehre von der Natur u. Gnade hat u. der christlichen Kirche viel Streit veranlaßt. Nachdem schon in den ersten Jahrhunderten die griechischen Kirchenväter mehr die Selbstthätigkeit des. Menschen, die lateinischen aber mehr die Gnade Gottes betont hatten, trat Augustinus mit der Behauptung auf, daß der Mensch seit Adams Fall das Vermögen, Gutes zu thun, d.h. den F. W-n, gänzlich verloren habe, während Pelagius eine moralische Einwirkung der göttlichen Gnade auf den Willen lehrte u. die Vermittler (Semipelagianer) die sittliche Willenskraft u. die göttliche Gnade in nähere Verbindung brachten. Dieser Streit zog sich durch die scholastische Zeit hindurch u. ging in die Protestantische Kirche über, indem diese dem Augustinus, die Katholische Kirche aber den Semipelagianern folgte. Luther stritt darüber 1519 mit Eck u. später mit Erasmus von Rotterdam; wobei jener das Servum arbitrium, dieser das Liberum arbitrium vertheidigte. Auch in der Katholischen Kirche, obschon sie in Trident für den Semipelagianismus sich erklärte, dauerten durch die Dominikaner u. Jansenisten diese Streitigkeiten fort. In der Protestantischen Kirche dachte Melanchthon milder u. veranlaßte dadurch die Synergistischen Streitigkeiten (s.d.); in der Reformirten Kirche neigten sich Calvin u. Beza zu Luther u. die Dordrechter Synode sanctionirte ihre Ansicht zu Gunsten der Gomaristen gegen die Arminianer. Diese verschiedenen Ansichten haben bis auf die neueste Zeit ihre Vertreter gefunden, u. während die rationalstische Periode den lutherischen strengen Lehrbegriff abschwächte, ist er neuerlich von den streng lutherischen Theologem mit allen Consequenzen wieder vertreten worden

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 6. Altenburg 1858, S. 676.
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