Mandschusprache

[820] Mandschusprache, zu dem Tungusischen Zweige des großen Maischen od. Turannischen Sprachstammes (s.d.) gehörig, ist seit der Eroberung Chinas durch die Mandschu zur Schriftsprache erhöben worden, doch hat ihr der schnelle Übergang von Rohheit zu Bildung einigermaßen Eintrag gethan, u. sie in ihrem natürlichen Entwickelungsgang gestört, bes. durch Einführung vieler chinesischer Wörter u. Redeweisen u. Nachahmung der chinesischen Construction. Trotz der Bemühungen des einsichtsvollen Kaisers Kao-tsung, die Sprache in ihrer alten Reinheit wieder herzustellen, macht sich dieser Übelstand immer noch bemerkbar. Die M, wirb, mit einem, dem mongolischen ähnlichen Alphabet senkrecht von oben nach unten geschrieben; die Zeilen folgen sich von der Linken zur Rechten. In der Lautlehre bietet sich die Eigenthümlichkeit dar, daß die Vocale in zwei Klassen, harte u. weiche, sich scheiden, u. der Vokal der Wurzelsylbe in der Regel den der Ableitungssylben bestimmt. Die Wurzeln sind unveränderlich, sie dulden weder Präfixe noch Um- od. Ablaut; Beugungen u. Ableitungen werden nur durch Suffixe gebildet. Dem Substantivum fehlt das grammatische Genus, ebenso die eigentliche, Casusbildung, welche durch Postpositionen ersetzt wird, für den Genitiv i, Dativ de, Accusativ be, Ablativ tschi. Der Pluralis wird nur bei lebenden Wesen durch gewisse Endungen, wie sa, se, si, ta etc. bezeichnet, z.B morin Pferd, Plur. morisa, chacha Mann, Plur. chachasi; sonst gebraucht man dafür Wörter, welche eine Menge od. Allheit ausdrücken, wie urse, tumen, gemu etc. Die Adjectiva, welche dem Substantiv stets vorangesetzt werden, sind flexionslos u. haben keine Formen für die Steigerungsgrade, welche lediglich durch die Construction[820] od. durch Partikeln angedeutet werden. Die Zahlwörter sind 1 emu, 2 dschue, 3 ilan, 4 duin, 5 sundscha, 6 ninggun, 7 nadan, 8 dschakôn, 9 nyun, 10 dschuan. Ordinalia werden durch die Endung tschi gebildet. Die persönlichen Pronomina sind bi ich, si du, i er, be wir, muse wir (den Angeredeten inbegriffen), sue ihr, tsche sie. Die Genitive derselben mini, sini, ini etc. dienen zugleich als Possessiva. Ein Relativum fehlt gänzlich. Das Verbum ist vieler Modificationen der Grundform u. des Grundbegriffs fähig, z.B. omine trinken, omibume trinken lassen, omitschame zusammen trinken, ominame anfangen zu trinken, omidschime kommen um zu trinken etc. Die eigentlichen Verbalformen weisen meistens weniger auf die Zeit, als auf Währung od. Vollendung der Handlung hin u. sind auch als Modi von sehr schwankendem Gebrauche. Formen für Person u. Numerus fehlen gänzlich. Die Wurzel ist der Imperativ: omi trink, chôla lies; der Infinitiv, welcher auch als Gerundium u. Verbalsubstantiv gebraucht wird, hängt daran die Endung me: omime trinken, chlôme lesen. Eine Form, welche die Vollendung der Handlung ausdrückt u. darum als Präteritum gebraucht wird, bildet sich durch die Endung cha, che, cho (ka, ke, ko): chôlacha gelesen habend, ich habe gelesen, geneche gegangen (von geneme) etc. Eine Form für die unvollendete Handlung, die darum als Präsens ü. Futurum dient, ist ra, re, ro: chôlara lesend, ich werde lesen. Beide werden durch ein angehängtes ngge zum Verbaladjectiv: chôlachangge, chôlarangge. Das Participium, welches immer etwas Vorhergehendes od. Ursächliches ausdrückt, endigt auf fi: chôlafi lesend, weil ich lese; der Optativ auf ki, kini: chôlaki, chôlakini ich möchte lesen; der Conditionalis auf tschi: chôlatschi wenn ich lese; der Concessivus auf tschibe, mbime: chôlatschibe, chôlambime obgleich ich lese. Eigentliche Tempora werden nur durch das Verbum bi ich bin, gebildet: chôlambi ich lese, cholambiche ich las, chôlachabi ich habe gelesen. Das Passivum bildet sich durch die Sylbe bu: chôlambume gelesen werden; das Negativum durch akô: chôlarakô ich lese nicht, chôlachako ich habe nicht gelesen etc. Conjunctionen gibt es nur wenig, da die Verbalformen die Beziehung der Sätze zu einander aus' drücken. Anstatt der Präpositionen hat die M. Postpositionen, welche dem Substantiv theils unmittelbar, theils mittelst einer der Casuspartikeln nachgesetzt werden. Adverbia werden aus Adjectiven durch die Partikel des Genitivs i, gebildet, andere haben die Infinitivendung. Für die Wortbildung existiren verschiedene Formen; Substantive werden von Verbis durch die Endung n, bu, tschun, kan, ken etc., Adjectiva von Substantiven durch die Endung ngga. von Verbis durch die Endung tschungga. Verba von Substantiven durch die Bildungssylben cha, che, cho, la, da etc. abgeleitet. In der Construction gilt als Hauptregel, daß das Bestimmende dem zu Bestimmenden voransteht, also das Adjectiv u. der Genitiv vor seinem Substantiv, das Adverbium vor dem Verbum. Letzteres steht stets, am Ende des Satzes, mit Ausnahme einiger Partikeln, welche ihm nachgesetzt werden. Der Anfang des Vaterunser lautet: abka de bisire musei ama, sini gebu enduringge okini, d.h. Himmel in seiend unser Vater, dein Name heilig sei. Grammatik von v. d. Gabelentz, Altenb. 1832; von Kaulen, Regensb. 1856; Wörterbuch von Langles, Par. 1789.

Die Literatur der Mandschu ist noch sehr jung, denn sie beginnt erst mit dem Aufkommen der Mandschudynastie in China u. besteht fast nur aus Übersetzungen, namentlich aus dem Chinesischen. Gegenwärtig ist das Studium der Mandschu in China gegen früher sehr in Verfall gerathen. Bald nach der Thronbesteigung der Mandschudynastie würden übersetzt: Die klassischen Bücher der Chinesen jedoch ohne die zahlreichen, Commentare zu denselben; das Thung-kian-kang-mu, eine Geschichte von China. Von den geographischen Werten der Chinesen ist, wie es scheint, gar nichts, von den medicinischen u. ökonomischen, nur sehr wenig übersetzt worden. Dagegen ist die Mandschurische Literatur desto vollständiger in Bezug auf die Gesetzgebung. Es gibt eine vollständige Sammlung aller Gesetze der Mandschukaiser bis zum Tode der Tao-kuang; eine Gesetzsammlung der Dynastie Tai-tsing (Ukhery kooli bitkhe), gedruckt unter Kaiser Khien-lung. Ferner besitzen die Mandschu eine Chronik der Präfectur Sakhalian-ula, od. des Amurlandes bis zum Jahre 1810, sowie Übertragungen mehrer chinesischer Romane u. des Gedichtes Mukenden-fu. Von den Werten der Buddhisten wurde der Gandjur, nebst mehren kleineren Schriften übersetzt. Das Thsingwen-lui-schu (20 Bde.) ist ein mandschu-chinesisches Wörterbuch, das San-pien-ho-lan, ein großes chinesisches Wörterbuch für das Mandschu u. Mongolische. Die bedeutendste Sammlung von Werten in M. in Europa befindet sich zu Petersburg.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 10. Altenburg 1860, S. 820-821.
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