Rechtspflege

[891] Rechtspflege (Justiz), die Handhabung des Rechtes od. die Thätigkeit der öffentlichen Behörden, insbesondere der Gerichte, welche auf die Erhaltung der Herrschaft der Gesetze u. des Rechtes gegen Willkür u. Eigenmacht, demnach vorzüglich auf Erörterung u. Entscheidung der vorkommenden Rechtshändel, Untersuchung u. Bestrafung der Verbrechen gerichtet ist. Die bestehende Rechtsordnung zu erhalten u. die Handhabung derselben zu sichern ist Sache der Staatsgewalt. Als Hauptgrundsätze, nach denen die R. zu ordnen u. zu verwalten ist, haben neben dem Verbot der Selbsthülfe für Deutschland folgende zu gelten: a) die Rechtsprechung hat nur durch selbständige u. von dem Willen des Regenten, wie den Verwaltungsbehörden unabhängige Gerichte zu geschehen. Die Selbständigkeit u. Unabhängigkeit des Richteramtes war schon im Staatsrecht des Deutschen Reiches für die Reichsgerichte, bes. das Reichskammergericht durch mehrfache gesetzliche Aussprüche sicher gestellt, u. ebenso wurde durch mehre Reichsgesetze für die einzelnen Territorien die Anordnung u. gehörige Besetzung von Unter- u. Obergerichten[891] dem Landesherrn mit qualificirten Leuten zur Pflicht gemacht. Im Anschluß an diese reichsgesetzlichen Bestimmungen haben auch die Landesgesetze es überall als einen Satz der Landesgrundverfassung sanctionirt, daß die Ausübung der Civil u. Criminalgerichtsbarkeit nur durch ordentlich bestellte, in ihrem Wirkungskreise vom Landesherrn u. dessen Ministern unabhängige Gerichte stattzufinden habe u. daß jeder Eingriff in den verfassungsmäßig festgestellten Wirkungskreis der Gerichte durch den Regenten od. die oberen Staatsbehörden als Cabinetsjustiz (s.d.) unerlaubt, alles darauf Verfügte deshalb aber null u. nichtig sei. Besonders finden sich diese Grundsätze in allen neueren Verfassungsurkunden anerkannt; überdies hat aber auch der Deutsche Bund dieselben garantirt, indem er in seinen Grundverträgen jede Verweigerung od. Hemmung der R. für, dem geordneten Rechtszustande Deutschlands widersprechend erklärt u. begründeten Beschwerden der Unterthanen hierüber Abhülfe zugesagt hat. In Verbindung damit steht b) der ebenfalls durch die neueren Verfassungsurkunden fast allgemein sanctionirte Grundsatz, daß Niemand an Betretung u. Verfolgung des Rechtsweges vor den bestellten, ordentlichen Gerichten in Justizsachen gehindert u. Niemand in der Regel seinem ordentlichen, d.h. gesetzlich bestimmten Richter entzogen werden dürfe. Doch schließt der letztere Satz nicht aus, daß in gewissen Fällen Ausnahmsgerichte eingeführt werden können, wie z.B. im Falle eines Aufruhrs, od. daß selbst durch eine Verfügung des Oberrichters für einzelne Fälle die Überweisung einer Sache zur Instruction u. Entscheidung an einen anderen, als den eigentlich competenten Richter erfolgen kann, wie z.B. wenn der Richter wegen äußerer Hindernisse (eigenes Interesse etc.) an der Übernahme der Sache verhindert ist. Eine mehr äußerliche Garantie gerechter u. unparteiischer R. bezweckt c) der Grundsatz der Nothwendigkeit dreier, gehörig geordneter Instanzen, welchen (nachdem er schon zu den Zeiten des Reiches Geltung gehabt hatte, wo neben den Unter- u. Obergerichten der Territorien die dritte Instanz in den Reichsgerichten bestand, insofern nicht für die größeren Reichsländer wegen Errichtung eigener dritter Instanzen durch die sogenannte Privilegia de non appellando Ausnahmen bestanden) auch die Bundesgesetzgebung in Art. 12 der Bundesacte nochmals anerkannt hat. Indessen muß nicht für alle Rechtssachen die Möglichkeit der Anrufung dreier Instanzen bestehen, sondern nach der Gerichtsorganisation müssen nur Gerichte dritter Instanz vorhanden sein, während die Bestimmung darüber, welche Sachen bis an die obersten Gerichte gebracht werden dürfen, u. über die diesfallsigen Voraussetzungen der einzuwendenden Rechtsmittel den Gesetzgebungen der Einzelstaaten überlassen u. in diesen auch in der That sehr verschieden geordnet sind. Einige Verfassungsurkunden geben noch d) die allgemeine Vorschrift, daß alle Urtheile der Gerichtshöfe mit Entscheidungsgründen versehen sein sollen (z.B. Baierische u. Königlich Sächsische Verfassungsurkunde). Andere haben außerdem noch z.B. die Mündlichkeit u. Öffentlichkeit der R., die Einführung der Geschwornengerichte für schwerere Verbrechensfälle, die vollständige Trennung der Behörden für Justiz u. Verwaltung, die Zuziehung von Sachverständigen in Civilprocessen, in denen Sachen, welche eine besondere Berufserfahrung voraussetzen, zur Entscheidung gelangen, daher Einführung von Handelsgerichten etc. als Grundsätze für Verwaltung der R. aufgestellt. Die Gewährung der Rechtshülfe von Seiten der Gerichte geschieht der Regel nach nie unentgeldlich; es hat daher jeder, welcher einen Rechtsstreit veranlaßt od. sonst den Gerichten zu rechtlichen Expeditionen Anlaß bietet, einen verhältnißmäßigen Beitrag zu den Kosten der R. durch Bezahlung der Proceßkosten (s.d.) zu entrichten. Ein wesentliches Hinderniß für eine wirksame R. bietet für Deutschland die Zerstückelung in viele kleine souveräne Staaten, da die Gerichte als Staatsbehörden ihre Wirksamkeit mit Sicherheit nicht weiter erstrecken können, als die Staatsgrenzen reichen. Zur Beseitigung der hieraus hervorgehenden Übel stände sind neuerdings vielfach zwischen den verschiedenen Staaten sogenannte Rechtspflegeconventionen abgeschlossen worden, welche im Allgemeinen bezwecken, daß die Gerichte der contrahirenden Staaten sich gegenseitig dieselbe Unterstützung angedeihen lassen, wie sie die Gerichte der betreffenden Staaten im Verkehr mit den Gerichten des eigenen Staates zu gewähren haben.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 13. Altenburg 1861, S. 891-892.
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