Bodensee-Toggenburg-Bahn

[426] Bodensee-Toggenburg-Bahn (Schweiz), eröffnet 3. Oktober 1910, beginnt im Bodenseehafenort Romanshorn, wo sie den Anschluß an die Linien von Frauenfeld, Schaffhausen, Singen und Konstanz findet, erreicht St. Gallen (21∙5 km), findet ihre Fortsetzung über Herisau, Degersheim und ihren Abschluß in Wattwil im Toggenburg (31∙7 km). Die gesamte Betriebslänge beträgt 53∙2 km.

In Herisau schließt die B. an die schmalspurige Appenzeller Bahn, in Lichtensteig an die normalspurige Toggenburger Bahn an; in Wattwil findet sie ihre unmittelbare Fortsetzung durch die Rickenbahn nach Rapperswil und die von dort ausmündenden Bahnen.

Die im Betriebe der schweizerischen Bundesbahnen stehende Bahn hat eine große wirtschaftliche Bedeutung für die von ihr erschlossenen Gebiete und nicht weniger für den Durchgangsverkehr.

Sie bietet aber auch technisch hervorragendes Interesse. Ihr Ausgangspunkt, Romanshorn, liegt 401∙55 m ü. M., ihren höchsten Punkt erreicht sie in Degersheim, 801∙81 m ü. M., und sinkt bis Wattwil auf 616∙54 m ü. M. herab. Die größte Neigung beträgt 18∙5‰. Aus den Niederungen des Bodensees steigt die Bahn über ein welliges Hügelland – Ablagerungen des Rheingletschers – allmählich empor, Moränen durchschneidend, die die Erhaltung von Einschnitten und Dämmen außerordentlich erschwerten.

Von St. Gallen aus bildete der Bahnbau ohne Unterbrechung eine Übersetzung von Quertälern, die vom Nordabhang des Alpsteingebirge kommen und deren Wildwasser sich tief in die obere und untere Süßwasser- und Meeresmolasse eingeschnitten haben, Mergel-, Nagelfluh- und Sandsteinschichten in buntem Wechsel aufschließend. So reihen sich auf dieser Bahnstrecke Einschnitte oder Tunnel an hohe Dämme und Viadukte mit überraschender landschaftlicher Schönheit. In Lichtensteig tritt die Bahn in das Thurtal; ihre Fortsetzung durch den 8604 m langen, eingleisigen Rickentunnel, der schon zu den schweizerischen Bundesbahnen gehört, führt dagegen in das Linthtal. In Uznach findet der Anschluß an die alte Linie der Bundesbahnen statt.

Unter den hervorragenden Bauwerken ist der Bruggwaldtunnel mit einer Länge von 1730 m zu nennen, bei dessen Bau am 22. Juni 1909 ein Einsturz stattfand. Der Wasserfluhtunnel, unmittelbar vor Station Lichtensteig, hat eine Länge von 3556∙86 m.

Unter den Kunstbauten ist vor allem die Sitterbrücke hervorzuheben, die eine überbrückte Ansichtsfläche von 19.400 m2, eine größte Höhe von 97 m und eine Gesamtlänge von 378 m aufweist. Die mit einem eisernen Halbparabelträger überspannte mittlere Stützweite mißt 120 m. Zu ihr führen gemauerte Bogenstellungen, 4 Öffnungen zu 25 m auf[426] der einen, 2 Öffnungen zu 25 m und 5 zu 12 m lichter Weite auf der anderen Seite. Die Kosten betragen 1,550.000 Fr.

Der Glattalviadukt hat eine Länge von 300 m und besteht aus 9 gewölbten Öffnungen zu 15 m und 5 Öffnungen zu 25 m Lichtweite. Der Weißenbachviadukt ist das größte Bauwerk einheitlichen Charakters der Linie. Er hat eine Gesamtlänge von 289 m und besteht aus 8 gewölbten Öffnungen von je 15 m Lichtweite und 5 Öffnungen von je 25 m Lichtweite.

Der Oberbau besteht aus 12 m langen Schienen von 36 kg/m, die auf 18 eisernen Schwellen ruhen, deren Gewicht für das Stück 61∙58 kg beträgt.

Besonders freundlich und der Umgebung angepaßt sind die Hochbauten der Stationen.

Die Baukosten betragen etwa 600.000 Fr./km.

Die B. besitzt 9 dreifach gekuppelte Zwillings-Heißdampf-Tenderlokomotiven mit vorderer und hinterer Laufachse. Da eine Einrichtung zur Bedienung der Steuerung und der Westinghousebremse auch auf der Rückseite des Führerstandes angeordnet ist, kann die Lokomotive rückwärts mit gleicher Geschwindigkeit wie vorwärts (75 km/Std.) fahren. Die Personenwagen sind zweiachsig gebaut; jedoch ist der Einbau einer dritten Achse möglich, wenn sich dies als zweckmäßig erweisen sollte. Sämtliche Wagen sind mit doppelter Westinghousebremse und elektrischer Beleuchtung nach Bauart Brown-Boveri eingerichtet.

Literatur: Denkschrift des St. Gallischen Ingenieur- und Architektenvereines zur 44. Generalversammlung des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereines in St. Gallen 1911. Schweiz. Bauzeitung. Bd. 49, Nr. 23 u. 24; ferner Bd. 56, A. Acatos, J. Lüchinger und F. Ackermann, Der Sitterviadukt der Bodensee-Toggenburg-Bahn. – Ztg. VDEV. 1912. Nr. 35.

Dietler.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 2. Berlin, Wien 1912, S. 426-427.
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