Nikolaus I.

Nikolaus I.

[293] Nikolaus I. Paulowitsch, seit dem 1. Dec. 1825 Kaiser und Selbstherrscher des russ. Reichs und Zar von Polen, geb. am 6. Jul. (25. Jun. a. St.) 1796, ist der dritte Sohn des unglücklichen Kaisers Paul I. und seiner zweiten Gemahlin Maria Sophie Dorothea, Tochter des Herzogs Friedrich Eugen von Würtemberg.

Seine Erziehung ward von seiner Mutter und mehren ausgezeichneten Mannern geleitet, unter denen sich auch der Staatsrath von Adelung und der Collegienrath Storch befanden, und nachdem N. mehre fremde Länder, 1816 namentlich England, sowie einen Theil des russ. Reichs bereist hatte, vermählte er sich am 13. Jul. 1817 zu Petersburg mit Charlotte, geb. 13. Jul. 1798, ältesten Tochter König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, welche vorher zur griech. Kirche übertrat und die Namen Alexandra Feodorowna annahm. Das Ableben Kaiser Alexander I. am 1. Dec. 1825 eröffnete für N. [293] den Thron mit Übergehung des Großfürsten Konstantin, seines ältern Bruders, welcher damals in Warschau residirte und nach seiner Vertreibung durch den poln. Aufstand von 1830, zu Witepsk im Jun. 1832 an der Cholera starb. Dieser hatte nämlich auf Veranlassung des Kaisers Alexander auf die Thronfolge im Geheimen verzichtet und seine Entsagungsurkunde war mit der kais. Bestätigung und der Ernennung von N. zum Thronfolger schon 1823 versiegelt von Alexander l. beim Staatsrathe mit der Bestimmung niedergelegt worden, das betreffende Packet Schriften erst nach seinem Tode zu öffnen. Ungeachtet aber dadurch diese Bestimmungen öffentlich wurden, huldigte N. doch einstweilen seinem Bruder und trat erst die Regierung an, nachdem derselbe seine Entsagung bestätigt und N. als Kaiser anerkannt hatte. Dieser erhielt gleich am 26. Dec. 1825, dem anberaumten Huldigungstage, Gelegenheit, seine Entschlossenheit und den seitdem mehr bewiesenen Muth zu bewähren, indem sich ein Theil der Garden für Konstantin erklärte, was Anklang unter den gemeinen Leuten fand, und eine weitverbreitete Verschwörung zum Umsturz der bestehenden Regierungsform gewaltsame Zeichen ihres Daseins gab. N. unterdrückte aber, nachdem Vorstellungen vergeblich versucht worden, an der Spitze der treugebliebenen Truppen die Unruhen in Petersburg, was jedoch nicht ohne Blutvergießen gelang, und die Anstifter und der Theilnahme Verdächtigen verfielen dem Gesetz, doch traten Milderungen der Urtheile ein. Ein mit Persien (s.d.) ausbrechender Krieg ward 1826–27 mit großem Vortheil für Rußland beendigt, desgleichen der Kampf mit der Pforte in den Jahren 1828–29, welcher das russ. Heer bis in die Nähe von Konstantinopel führte. Beide Kriege brachten, obgleich sie keine Eroberungskriege sein sollten, außer Gebietserwerbungen in Asien, ansehnlichen, später jedoch theilweise erlassenen Kriegsentschädigungsgeldern und andern Vortheilen, zu denen namentlich gehört, daß die Moldau und Walachei unter russ. Schutz gestellt wurden, für Persien und mehr noch für die Türkei die Nothwendigkeit mit sich, Rußland als einen Vermittler in allen ihren Angelegenheiten anzuerkennen, dessen bedrohlicher Einfluß sich ohne Gefahr nicht mehr abweisen läßt. Der traurige Kampf mit dem für seine Volksthümlichkeit und Selbständigkeit aufgestandenen Polen (s.d.) gesellte die vom Kaiser Alexander l. diesem Lande gegebene, von N. zurückgenommene Verfassungsurkunde den im Arsenal zu Moskau aufgestellten Siegeszeichen zu, 1832 aber vertrat ein russ. Heer in Asien den siegreichen Ägyptern (s. Mohammed Ali) den Weg nach der türk. Hauptstadt. Bald darauf machte der Bundesvertrag von Chunklar-Iskelessi mit der Pforte, Rußland gleichsam zum militairischen Gebieter der Dardanellen und des Bosporus, die dadurch jedem fremden Kriegsschiffe verschlossen wurden, wodurch die russ. Häfen und Flotten am schwarzen Meere, wo in den asiat. Küstenländern zur Unterwerfung der Tscherkessen und andern Gebirgsvölker fortwährend ein blutiger Krieg geführt wird, geschützt werden. Befestigung und Erweiterung des Besitzes und entscheidender Einfluß in den östl. Angelegenheiten gehen daraus hervor, zu dessen Behauptung Kaiser N. auch vor Allem der Land- und Seemacht seine Sorge zu widmen scheint, die freilich auch die einzigen Stützen der die Interessen der Allein- und Selbstherrschaft verfechtenden Politik der Regierung eines Reiches sind, das in dem obwaltenden Wettstreite politischer Meinungen kein moralisches Gewicht in die Wagschale zu legen hat, weil seine Bevölkerung und innere Ordnung im Ganzen noch viel zu weit hinter dem übrigen Europa zurücksteht, um dessen Bestrebungen nur begreifen zu können. Das befürchtete Misverstehen derselben wie die Abneigung dagegen unterwirft daher auch jeden wissenschaftlichen und literarischen Verkehr zwischen Rußland und dem Auslande fortwährend verschärfter Policeiaufsicht. Der russ. Einfluß scheint gleichzeitig in demselben Geiste sich im Auslande geltend machen und insbesondere die Fürsten, Heere und höhern Militairpersonen der Nachbarstaaten sich befreunden zu wollen. Darauf deutet unter Anderm 1834 die Einladung preuß. Krieger zur Enthüllung der Alexandersäule in Petersburg, das große Lager bei Kalisch im J. 1835, welches auch 4000 Preußen mitbezogen, die Einladungen zu den in Rußland jährlich stattfindenden großen Manoeuvres, die ungemein zahlreichen Ordensverleihungen und Geschenke, welche im Auslande oft für die unbedeutendsten Dienstleistungen und auch an Policeibeamte häufig erfolgen, und die Besuche und Zusammenkünfte, welche der Kaiser nicht blos an dem nahverwandten preuß. Hofe machte, sondern während seiner neuerdings fast jährlich wiederkehrenden Anwesenheit in Deutschland auch mit dem Kaiser von Östreich und andern deutschen Fürsten hielt, wobei auch im J. 1838 kriegerische Festlichkeiten immer die Hauptrolle spielten. Im Innern wurden Verbesserungen der Gesetzgebung und die 1833 vollendete Sammlung früherer Gesetze und Abfassung von Gesetzbüchern, viele die Landwirthschaft, die gewerblichen Unternehmungen, den Handel, das Fabrikwesen und den Bergbau betreffende und befördernde Anordnungen, Verbesserungen des Volksunterrichts und auch großartige wissenschaftliche Anstalten (s. Rußland) zum Theil unter persönlichem Antheil des Kaisers ausgeführt und gegründet, bei welchen aber freilich auch die größtmögliche Bevormundung von Lehrer und Lernenden nicht fehlt. Auf seinen jährlichen Reisen in die Provinzen sucht N. mit Bedacht dem Mangelhaften im Getriebe der Verwaltung abzuhelfen, den häufigen Unterschleifen und Misbräuchen der Amtsbefugnisse russ. Angestellter vorzubeugen, und in dieser Hinsicht haben namentlich hohe Beamte beim Heere mehrmals seine gerechte Strenge empfunden. Mit einer stattlichen, einnehmenden Persönlichkeit verbindet Kaiser N. ein gegen ausgezeichnete Personen ebenso verbindliches, wie gegen Leute aus dem Volke herablassendes Benehmen, und im häuslichen und verwandtschaftlichen Kreise gibt er sich gern ganz dem traulichen Tone des Familienlebens hin. Aus seiner mit gegenseitiger Neigung eingegangenen, glücklichen Ehe sind vier Söhne und drei Töchter am Leben und der Thronfolger, Großfürst Cäsarewitsch Alexander, geb. am 29. Apr. (17. Apr. a. St.) 1818, ist bereits am 4. Mai 1834 volljährig erklärt worden. Das Geburtsfest des Kaisers wird jährlich am 7. Jul. begangen, weil dieser Tag dem 6. Jul. des vorigen Jahrhunderts entspricht.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 293-294.
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