Arbeit [2]

[673] Arbeit (mittelhochd. arebeit, »Mühsal, Not«), im Sinne der Nationalökonomie jede auf Wertschaffung gerichtete menschliche Tätigkeit; im gewöhnlichen Leben wird mit dem Wort A. nicht allein der Akt der Leistung, sondern oft auch ihr Ergebnis bezeichnet. Den Begriff A. auf körperliche Tätigkeit zu beschränken, scheitert schon an der Unmöglichkeit, die geistige und physische A. überhaupt scharf voneinander zu trennen. Die einfachste Handarbeit bedarf geistiger Überlegung, und die Kopfarbeit kann den Körper ebensosehr ermüden wie schwere Handarbeit. Jedoch ist es üblich geworden, den Begriff Arbeiter etwas enger zu fassen, indem man (so insbes. die Sozialisten) darunter die Klasse der Lohnarbeiter (arbeitende Klassen, Arbeiterstand) im Gegensatze zu den Unternehmern und Kapitalisten versteht und von einer Arbeiterfrage (s. d.) spricht.

Die Bedeutung der A. ist eine doppelte. Zunächst ist sie ein wichtiger Faktor der Produktion und damit auch aller Kultur. Es bedarf der stetigen, stufenweise fortschreitenden A. vieler Generationen, von denen die vorhergehende der folgenden die unentbehrlichen geistigen und materiellen Hilfsmittel für weitere Vervollkommnung überliefert, um zu höherer gesellschaftlicher Entwickelung zu gelangen. Aber die A. schafft nicht allein nutzbare Werte, sie ist auch das wertvollste Mittel der Vervollkommnung, Stählung und Abhärtung des Körpers und der geistigsittlichen Veredelung. Dieser gute Einfluß der A. tritt freilich nur unter der Voraussetzung ein, daß die A. in quantitativer und qualitativer Beziehung gewisse Grenzen nicht überschreite. Überarbeitung, zumal erzwungene, führt ebenso wie ununterbrochene, eintönige A. zu geistiger und körperlicher Abstumpfung und Verkümmerung. Ruhepausen sind darum unerläßlich zur Er holung, Zerstreuung, Bildung, für allseitige Erregung der Geistes- und Körpervermögen und das Familienleben. Darum hat auch neben der Nachtruhe die Sonntagsheiligung eine hohe wirtschaftliche Bedeutung.

Der Erfolg der A. des Einzelnen und der Gesamtheit wird bedingt teils durch Kräfte und Triebe des Arbeiters, teils durch äußere Umstände, wie Beschaffenheit der anzuwendenden Hilfsmittel, soziale Verhältnisse etc. Der Trieb zur A. ist um so größer, je mannigfaltiger und zahlreicher die Bedürfnisse sind, die nur durch A. befriedigt werden können, und je mehr dem Arbeiter die Früchte besondern Eifers gesichert sind. Daher erklärt es sich, daß die unfreie A. des Sklaven und Hörigen, weil die Früchte vermehrter Anstrengung ihr in der Regel nicht zu teil werden, gewöhnlich weniger erzeugt als die freie, bei welcher der Lohn sich nach der Leistung richtet. So kann der Erfolg der A. vergrößert werden durch Übergang vom Zeitlohn zum Stücklohn und von diesem zur Beteiligung des Arbeiters am Gewinn (s. Arbeitslohn).

Aber der Trieb zur A. ist für sich allein nicht genügend. Es muß ihm auch ein hinreichender Fonds von Arbeitskraft entsprechen, und zwar nicht allein der rohen Körperkraft, sondern auch der intellektuellen und moralischen Fähigkeiten. Umsicht, Raschheit der[673] Auffassung, Vielseitigkeit, Anpassungsvermögen, Mäßigkeit, Ausdauer, Redlichkeit, Zuverlässigkeit, Gewissenhaftigkeit spielen eine große Rolle. Die Arbeitskraft des einzelnen Menschen ist bedingt durch den Stand der Gesamtkultur, und zwar kommen nicht allein die natürlichen Anlagen, die er von Geburt aus mitbringt, sondern auch die während seines Lebens auf ihn statthabenden äußern Einwirkungen in Schule, Haus, sodann Klima, religiöse Anschauungen, Rassenunterschiede, die Art der Beschäftigung, der Ernährung, Wohnung wie die ganze Lebensweise in Betracht.

Die gesamte Arbeitsfähigkeit eines Volkes ist außerdem abhängig von der Altersklassenverteilung, Mortalität, Morbidität und Verteilung der Geschlechter. Nur die Personen zwischen dem 15.–20. einer- und dem 60.–70. Lebensjahr anderseits können als arbeitsfähig bezeichnet werden. Das sind in Deutschland etwa 55 Proz. der Bevölkerung (s. d.). Aber auch hiervon sind die jeweils Kranken, die zum Militärdienst Einberufenen, ein großer Teil des weiblichen Geschlechts in Abzug zu bringen, so daß höchstens 35 bis 40 Proz. der Bevölkerung mit der Herstellung von Sachgütern beschäftigt sind, und diese nicht nur für sich, sondern auch für den andern Teil der Bevölkerung den Unterhaltsbedarf zu beschaffen haben.

Von großem Einfluß auf den Erfolg der A. sind ferner die Intensität und Dauer der Beschäftigung. Überanstrengung und A. ohne genügende Erholungspausen können trotz Ausdehnung der Arbeitszeit die Leistung erheblich vermindern. Durch die Erfahrung ist hinlänglich bestätigt, daß durch eine Verkürzung der Arbeitszeit nicht selten die Leistungen erhöht worden sind. Der Erfolg der A. ist weiter bedingt durch die Hilfsmittel der A., und zwar sowohl durch die künstlichen (s. Kapital) als auch durch diejenigen, welche die Natur uns bietet mit ihren verschieden verteilten Kraftquellen, ihrer ungleichen Bodenergiebigkeit etc. Endlich ist von Wichtigkeit die ganze Organisation der A., ihre volkswirtschaftliche wie privatwirtschaftliche Gliederung (s. Arbeitsteilung), insbes. aber auch die Gestaltung der gesellschaftlichen Verfassungszustände, die Art der Rechtsordnung und des gesamten Staatslebens. Politisch-religiöser Druck, extreme Verteilung von Besitz und Einkommen, Gebundenheit an die Scholle, Beschränkungen in der Wahl der Beschäftigung etc. können die Arbeitskraft außerordentlich lähmen und ihre Erfolge beeinträchtigen, während diese bei günstiger Lebenslage und Zufriedenheit der untern Klassen, bei religiöser und politischer Friedfertigkeit und tüchtiger Staatsverwaltung das beste Gedeihen verspricht. – Über Recht auf Arbeits. Sozialismus.

Arten der A. Als wertschaffende, zweckbewußte Tätigkeit ist die A. stets eine Verbindung von Denken und Tun; die beliebte Gegenüberstellung von geistiger und mechanischer oder Kopf- und Handarbeit erscheint daher nicht angebracht. Besser unterscheidet man leitende (schöpferische, dispositive) und ausführende A., die erstere überwiegend geistiger, die letztere überwiegend mechanischer Art. Die leitende A. ist entweder allgemeine wirtschaftliche oder rein technische, die ausführende ist entweder gelernte oder ungelernte A. Der gelernte Arbeiter hat eine besondere fachmäßige Ausbildung und Schulung teils in längerer oder kürzerer Lehrzeit, teils in gewerblichen Fortbildungsschulen u. dgl. durchgemacht, wie z. B. der Kleinmeister, Geselle, Werkführer, Maschinenbauer oder Buchdrucker; er übt infolgedessen immer die A. aus, die er erlernt hat. Der ungelernte Arbeiter dagegen hat gar keine A. in dieser Weise gelernt, sondern übl jede einfache, gewöhnliche, nur aus leicht erlernbaren Handgriffen bestehende A., die sich ihm darbietet. Er heißt deshalb auch »Gelegenheitsarbeiter«. Allerdings ist es sehr schwierig, zwischen diesen beiden Gruppen von Arbeitern eine feste Grenze zu ziehen. Für die moderne Volkswirtschaft ist die relative Zunahme der ungelernten Arbeiter, ihre Anhäufung in den Industriemittelpunkten, die zunehmende Verdrängung der gelernten Arbeiter durch sie charakteristisch. Sie wurzelt in der modernen Arbeitsteilung, dem Streben, schwierigere Arbeiten in zahlreiche, einfach auszuführende Teilarbeiten zu zerlegen oder Arbeitsmaschinen zu überweisen. Die wirtschaftliche und soziale Lage gerade dieser Arbeitergruppe ist vielfach eine nicht befriedigende (s. Arbeiterfrage).

Eine weitere wichtige Scheidung der Arten der A. ist die in selbständige A. und Lohnarbeit oder abhängige A. Selbständige A. ist dann vorhanden, wenn der Arbeitende in der eignen Wirtschaft für sich selbst oder wenigstens als verantwortlicher und selbständiger Leiter einer, wenn auch ihm nicht zu Eigentum zustehenden Unternehmung tätig ist; Lohnarbeiter ist derjenige, der in einem fremden Betrieb gegen Lohn beschäftigt ist. Diese Unterscheidung kreuzt sich mit der vorigen. Die leitende A. kann sowohl selbständige als Lohnarbeit sein. die ausführende dagegen ist in der modernen Volkswirtschaft überwiegend Lohnarbeit. Da die letztere auch überwiegend Handarbeit ist, so bezeichnet man gerade sie als Handarbeit oder Lohnarbeit. Charakteristisch für die heutige Volkswirtschaft ist der große Umfang und die stete Zunahme der abhängigen A. gegenüber der selbständigen als Folge des kapitalistischen Großbetriebs. Es betrug die Zahl der Arbeiter einschließlich der Angestellten (nichtleitende Beamte, Aufsichts- und Verwaltungspersonal etc.) 1882: 11,012,620, 1895: 13,438,377 oder in Prozenten aller Erwerbstätigen 1882: 67,97, 1895: 71,6. Über das Verhältnis der Frauenarbeit und der Kinderarbeit zur A. der erwachsenen männlichen Arbeiter s. die betreffenden Artikel.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 673-674.
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