Boulogne-sur-Mer

[279] Boulogne-sur-Mer (spr. bulonnj'-ßür-mǟr), alte, durch Forts verteidigte Seestadt im franz. Depart. Pas-de-Calais, Hauptort eines Arrondissements, an der Mündung der Liane in den Pas-de-Calais und an der Nordbahn gelegen, besteht aus der engen, von mittelalterlichen Mauern umgebenen Oberstadt, mit schöner Aussicht auf das Meer, und der neuern Unterstadt, die sich am Strande längs der Liane hinzieht, dem Sitz des Handels und der Industrie. Beide Teile sind durch die abschüssige Rue grande miteinander verbunden. Über die Liane führen zwei Brücken zur Vorstadt Capécure, die das Hafenbassin und die Bahngebäude enthält. Merkwürdige Gebäude sind: die Kirche Notre Dame de B., 1827–66 an Stelle der alten Kathedrale erbaut, mit dem vielverehrten Gnadenbilde der Patronin; das Stadthaus mit hohem Glockenturm; die Zitadelle, in der Ludwig Napoleon 1840 gefangen saß. Die Stadt zählt (1901) 49,939 Einw., darunter über 6000 Engländer. Der Fluß ist durch Kunstbauten in einen geräumigen Hafen mit Bassins und Schleusen umgewandelt worden und durch den zwischen zwei langen Wellenbrechern geführten Kanal mit dem durch den Damm Carnot und das Kap Gris Nez geschützten Außenhafen (50 Hektar, 5–15 m Tiefe) verbunden; doch soll noch ein neues Hafenbecken bei der Dünenbatterie angelegt werden. Handel und Schiffahrt von B. sind besonders mit England bedeutend. 1900 liefen (hauptsächlich unter englischer Flagge) 3013 Schiffe mit 1,511,469 Ton. ein und 3007 Schiffe mit 1,514,639 T. aus. Der Warenhandel mit dem Auslande hatte 1901 einen Wert von 397,3 Mill. Frank. Die Einfuhr (144 Mill. Fr.) besteht namentlich in Seiden-, Schafwollen- und Baumwollenwaren, Garnen, roher Schafwolle, Seide, Jute und Holz; die Ausfuhr (253 Mill. Fr.) gleichfalls in Schafwollen-, Seiden- und Baumwollenwaren, dann in Leder, Lederwaren und Wein. Regen Verkehr hat B. ferner als Hauptstation der französischen Nordseefischerei (Heringe, Stockfisch, Makrelen, Austern) und als stark benutzter Überfahrtspunkt nach England (Fahrzeit nach Folkestone 21/2 Stunden). Auch als elegantes Seebad ist B. sehr besucht; es besitzt seit 1863 ein großes Badeetablissement. Die Industrie der Stadt erstreckt sich auf Fabrikation von Zement, Töpferwaren, Schuhwaren, Eisen- u. Gußwaren, Metallschreibfedern, Segeltuchweberei, Sägewerke, Schiffbau etc. B. ist der Sitz eines Handelsgerichts und zahlreicher Konsulate fremder Staaten (auch eines deutschen Vizekonsuls), hat ein Collège und eine Schiffahrtsschule, eine Bibliothek (60,000 Bände und 400 Manuskripte), ein Museum mit archäologischer und ethnographischer Sammlung, Gemäldegalerie und Naturalienkabinett. B. ist der Geburtsort des Gelehrten und Staatsmanns Daunou, des Kritikers Sainte-Beuve, des Ägyptologen Mariette u. des Schiffsbauingenieurs Sauvage. Den beiden letztern und dem Arzt Jenner sind hier Denkmäler errichtet worden. 3 km von der Stadt, auf einer Anhöhe an der Straße nach Calais, erhebt sich die 53 m hohe marmorne Colonne de la Grande armée, mit der Bronzestatue Napoleons I., zum Andenken an das Lager von B. (s. unten) errichtet. – B., den Römern als Hafen (Portus Gesoriacus) wichtig, bekam unter Kaiser Konstantin den Namen Bononia, hieß unter den Karolingern Bolonia und wurde im 9. Jahrh. zur Hauptstadt einer Grafschaft (Boulonais) erhoben, die einem Seitenzweig der flandrischen Grafen, dann 1360–1477 zu Burgund gehörte. 1544–50 hielten die Engländer es besetzt; 1559–1813 war es Bischofssitz. Von B. aus wurden die meisten kriegerischen Unternehmungen gegen England eingeleitet: die erste von Caligula, die letzte von Napoleon I., der das »Lager von B.« (1803–1805) errichtete. Am 6. Aug. 1840 war B. das Ziel von Ludwig Napoleons zweitem Putsch (s. Napoleon III.). Vgl. Lebaudy, B. du point de vue commercial (Par. 1875); Merridew, Guide to B. (11. Aufl., Lond. 1898); Joanne, B. et Berck (Par.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 279.
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