Exerzieren

[211] Exerzieren (lat.), üben, Übungen vornehmen, besonders Truppen in Handhabung der Waffe sowie in allen Bewegungen ausbilden. Der Wert des Exerzierens liegt sowohl in der mechanischen Abrichtung zur geordneten Bewegung geschlossener Massen als hauptsächlich in der moralischen Einwirkung auf die Truppe, wodurch das E. ein Haupthebel für die Disziplin der Heere wird. Gut gehandhabtes (strammes) E. festigt die Herrschaft des Offiziers über seine Leute und gilt nicht mit Unrecht als einer der Gradmesser für die Kriegstüchtigkeit einer Truppe. Schon Griechen und Römer erkannten den Wert der Waffenübungen, im Mittelalter aber verschwand in den ungeordneten Kämpfen der Ritterzeit bis ins 16. Jahrh. das E. aus den Heeren, sofern nicht einzelne Heerführer darauf hielten. Karl der Kühne von Burgund und Graf Moritz von Nassau, von dem das erste Infanterie-Exerzierreglement stammt, werden besonders genannt. Gustav Adolf erreichte durch fleißiges E. im Lager gute Disziplin; ebenso übte Wallenstein das E., und später zeigte die Haltung der brandenburgischen Truppen auf dem Schlachtfeld ihre gute Schulung durch E. im Frieden. Im 18. Jahrh., besonders nach Friedrichs d. Gr. Tode, artete das E. in bloßes Eindrillen aus, und erst seit Napoleon I. ist man allmählich dahin gekommen, das E. in die richtige Beziehung zu setzen zur individuellen Erziehung des Einzelkämpfers. Bei den deutschen Truppen wird während eines Feldzugs jede Ruhepause mit E. und Übungen ausgefüllt, teils zur Ausbildung der Nachschübe und Stärkung der Disziplin, teils aus Gesundheitsrücksichten. Jetzt legt man in allen Heeren ungefähr gleichmäßig den Wert auf die taktische Ausbildung wie auf das E., und seit Einführung der modernen Präzisionswaffen erfordert die Schießausbildung und damit zusammenhängend das Gefechtsexerzieren den größten Teil der verfügbaren Zeit. Das Detailexerzieren, d. h. die Ausbildung des einzelnen Mannes oder weniger zusammengestellter Leute, sowie das E. geschlossener Abteilungen traten deshalb immer mehr zurück, und in einigen Heeren war man der Ansicht, daß dieses E., das Drillen (s.d.), zur Stärkung der Disziplin nicht nötig sei, wenn die Erziehung zum kriegstüchtigen Soldaten an dessen Stelle träte. Kaiser Wilhelm I. entschied jedoch: die Frage sei nicht »Drill oder Erziehung«, sondern »Drill und Erziehung«. Nachdem im Detailexerzieren die Elementarbewegungen, Wendungen, Marsch im Gleichtritt (s.d.) geübt sind, bildet das E. im Trupp den Übergang zu dem in taktischen Abteilungen. Bei Kompagnie, Eskadron und Batterie besteht das E., nachdem innerhalb der Truppe die nötige Gleichmäßigkeit erzielt ist, in der Ausführung von Evolutionen (s.d.), hauptsächlich im Auseinander-, bez. Zusammenziehen einzelner Teile und deren Zusammenwirken. Bei größern Verbänden wird dem E. im Gelände meist eine Gefechtsidee untergelegt und hierfür den Führern Direktiven (s.d.) gegeben. Zu den Vorbereitungen gehört auch das E. in kriegsstarken Verbänden, z. B. das E. in der Kriegsbatterie. Dieses E. in wechselndem Gelände ist der Übergang zum Manövrieren, den taktischen Übungen gemischter Waffen (Infanterie, Kavallerie und Artillerie) nach Gefechtsideen (vgl. Manöver). Das Einüben der Mannschaften findet statt auf Exerzierplätzen, für jedes Armeekorps fordert man einen. großen Truppenübungsplatz von der ungefähren Größe einer QMeile, um Gefechtsübungen in größern Verbänden vornehmen zu können. Zur Ausbildung der einzelnen Leute und kleiner Abteilungen dienen bei schlechtem Wetter Exerzierhäuser oder -Schuppen, für Truppen zu Pferde Reitbahnen. Exerzierreglement heißt die Vorschrift für die Ausbildung der Truppe im E. Es gibt genaue Vorschriften für die Form, von denen abzuweichen verboten ist, und die jeder Mann in seiner Waffe so kennen muß, daß die richtige Ausführung auf Kommando gesichert ist. Für die Anwendung der Formen sind nur Grundsätze gegeben, die dem Führer für jeden Einzelfall viel Spielraum lassen. Die Erfahrungen des Krieges von 1870/71 führten in allen Heeren zur Neubearbeitung von Exerzierreglements, die vielen Änderungen in der Bewaffnung, die auf die taktischen Grundsätze Einfluß übten, ließen die Arbeit erst um 1900 zum Abschluß gelangen. Exerzierreglements gelten jetzt: für die Infanterie in Deutschland das von [211] Friedrich III. 1888 eingeführte, mit geringfügigen Änderungen von 1889, 1899, 1900 und 1903; in Österreich ist der Entwurf eines Exerzierreglements für die k. u. k. Fußtruppen an Stelle der 3. Aufl. des Reglements von 1889 im J. 1901 in Kraft getreten; in Frankreich wurde das Reglement von 1898 in Neubearbeitung: »Projet de règlement sur l'exercice et les manœuvres de l'infanterie« den Truppen übergeben; für die Kavallerie in Deutschland Reglement von 1895, in Österreich von 1887; für die Feldartillerie in Deutschland von 1899, in Österreich von 1886–89, in Frankreich von 1901; für die Fußartillerie in Deutschland von 1891, II. Teil (Ausbildung am Geschütz) von 1901; für den Train von 1890. Neuerdings kam das Reglement für Maschinengewehrabteilungen hinzu. Jedem deutschen Exerzierreglement ist das Verbot vorangestellt, zur Erzielung gesteigerter äußerlicher Gleichmäßigkeit oder in andrer Absicht mündliche oder schriftliche Zusätze zu erlassen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 211-212.
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