Göttinger Dichterbund

[178] Göttinger Dichterbund, eine in der Geschichte der deutschen Literatur vielgenannte Vereinigung jüngerer Dichter der Sturm- und Drangperiode. die für die Entwickelung der deutschen Lyrik Bemerkenswertes erreichte. H. Chr. Boie (s. d.) hatte während seiner Studienzeit in Göttingen sich mit Fr. W. Gotter (s. d. 2) zur Herausgabe des ersten deutschen »Musenalmanachs« (von 1770) vereinigt. An ihn schlossen sich J. H. Voß, der sich später mit Boies Schwester Ernestine verlobte, der junge Cramer, der Sohn von Klopstocks Freund, der Rheinländer Hahn an, doch waren sie Boies Wesen sehr entgegengesetzte Naturen und nicht frei von schwärmerischer Übertreibung. Ihre ideale Begeisterung für Religion, Tugend und Vaterland war durchaus von Klopstock, ihrem bewunderten Vorbild, abhängig. Ihr edler Freundschaftsbund erhielt seit der Zusammenkunft am 12. Sept. 1772, an der Voß, Miller, Hahn, Hölty und Wehrs teilnahmen, festere Form. In wöchentlichen Zusammenkünften suchte man sich gegenseitig in den Gesinnungen der Tugend und Deutschheit, im Haß gegen die »Sittenverderber« Wieland und Voltaire, in der Bewunderung Klopstocks und vaterländischer[178] Bardenpoesie zu stärken, huldigte dabei einem fanatischen Tyrannenhaß und einem Freiheitsgefühl, das nur bei Boß reale Unterlage hatte und nicht hinderte, daß das hocharistokratische poetische Brüderpaar Christian und Friedr. Leopold, Grafen zu Stolberg noch im Dezember 1772 dem Bunde mit Begeisterung beitraten. Bürger trat in freundschaftliche Beziehungen zum Bunde, doch gehörte er ihm nicht als Mitglied an. Durch die Stolberg wurde die Annäherung an Klopstock vermittelt, dessen 49. Geburtstag der Dichterbund 2. Juli 1773 mit einem Fest beging, bei dem man in Rheinwein Klopstocks Gesundheit, Hermanns (des Cheruskers) und Luthers Andenken trank, die Hüte auf dem Kopf von Freiheit, von Deutschland, von Tugendgesang sprach und zuletzt Wielands Bildnis und seine Dichtung »Idris und Zenide« verbrannte. Wichtiger und folgenreicher als der Klopstock-Enthusiasmus war die Neigung zu griechischen Studien, die in Voß ihren Hauptvertreter fand, sowie das Streben nach einem volkstümlichen, sangbaren Ton der Dichtung, das sich hauptsächlich in den Liedern Höltys und Millers offenbart. Schon 1773 verließen einzelne Mitglieder (auch die beiden Stolberg) Göttingen. Am 2. Juli 1774 wurde Leisewitz, der spätere Dichter des »Julius von Tarent«, aufgenommen, im September 1774 der kleine Kreis der zurückgebliebenen Mitglieder durch einen mehrtägigen Besuch Klopstocks erfreut. Gleichwohl löste sich der Bund unmittelbar darauf durch Zerstreuung seiner Mitglieder auf; Voß, der dessen Seele und Mittelpunkt gewesen war, verließ Göttingen im Frühjahr 1775, übernahm allerdings in demselben Jahre die Redaktion des »Musenalmanachs« aus Boies Händen und wußte wenigstens während seines Wandsbeker Aufenthalts durch Besuche und Korrespondenzen die Freunde noch einigermaßen beisammenzuhalten. Seit 1778 aber gingen alle Mitglieder ihre eignen Wege; selbst der Freundschaftsbund, in dem Voß und der jüngere Stolberg später in Eutin beisammenlebten, löste sich mit einem gewaltsamen Bruch. Inzwischen war die kurze Periode hochfliegender Hoffnungen und Pläne, gemeinsamer Begeisterung für die talentvollsten Jünglinge des Göttinger Dichterbundes nicht ohne Nachwirkung geblieben. Der Voßsche »Musenalmanach« behauptete sich bis 1798; das beabsichtigt gewesene »Bundesbuch«, das Klopstock bevorworten sollte, erschien niemals. Die Hauptquelle für die Geschichte des Göttinger Dichterbundes bleiben die Briefe von Voß an Brückner, Boie und namentlich an seine Braut Ernestine. – Den Namen Hainbund, mit dem der G. D gewöhnlich bezeichnet wird, hat zuerst Voß in seinem Leben Höltys (1804) angewendet, ohne Zweifel in Erinnerung daran, daß Klopstock einmal den »Hain« (d.h. den jungen Nachwuchs, die Sängerzunft) grüßen ließ. Der Name ist Klopstocks Ode »Der Hügel und der Hain« entlehnt und sollte die Bundesglieder als Anhänger der germanischen Bardenpoesie bezeichnen im Gegensatz zu den Nachahmern der Griechen und Römer. Vgl. R. Prutz, Der G. D. (Leipz. 1841); eine Auswahl der Dichtungen von Voß, Hölty, Miller, F. Stolberg und Claudius gab Sauer u. d. T.: »Der G. D.« in Bd. 49 und 50 von Kürschners »Deutscher Nationalliteratur« mit Einleitung heraus.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 178-179.
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