Hūmus

[640] Hūmus (lat.), die braune oder schwarze Masse, in die Pflanzen oder Pflanzenteile nach dem Absterben zerfallen, und die, oft in starker Schicht, den Boden der Wälder und Wiesen bedeckt, häufiger noch, mit mineralischen Substanzen vermischt, im Ackerboden sich befindet und mit jenen die Dammerde bildet. Torf und durch Vermoderung zerfallenes Holz bestehen zum größten Teil aus H. H. ist ein Gemisch z. T. eigenartiger Stoffe, die aus Zellulose, Stärke, Zucker und andern Pflanzenstoffen hervorgehen, denen sich aber in der Natur Zersetzungsprodukte tierischer und mineralischer Substanzen beimengen. Der H. entsteht hauptsächlich wohl durch Fermentwirkungen; er hat die organische Struktur fast vollständig verloren, ist in Wasser unlöslich, zieht es aber mit großer Begierde an und zerfließt damit zuletzt zu einem Brei, der bei gewöhnlicher Temperatur zu einer Masse eintrocknet, die in scharfkantige, glänzende Stückchen mit muscheligem Bruch zerfällt, nach starkem Frost aber beim Eintrocknen eine lockere, pulverige Masse hinterläßt.

Man unterscheidet braune und schwarze Humusstoffe. Die braunen Ulminstoffe bilden sich unter Aufnahme von Sauerstoff und Entwickelung von Kohlensäure und Wasser, und dabei wird die zurückbleibende Masse relativ reicher an Kohlenstoff; Ulmin enthält mehr Kohlenstoff als Zellulose und mehr Wasserstoff, als nötig wäre, um mit seinem Sauerstoff Wasser zu bilden Ulmin bildet sich besonders in trockner Umgebung, während bei Gegenwart von viel Wasser schwarze Huminstoffe entstehen. In Torfmooren und in der Ackerkrume fehlen Ulminstoffe bisweilen gänzlich, aber an der Luft vermoderndes Holz und Laub liefern ein braunes Produkt. Die braunen Stoffe können in die schwarzen übergehen, wobei dann wieder Sauerstoff aufgenommen und Kohlensäure und Wasser abgeschieden werden. Die schwarzen Stoffe enthalten nur soviel Wasserstoff, als nötig ist, um mit ihrem Sauerstoff Wasser zu bilden. Ulmin- und Huminstoffe geben an Wasser nichts Lösliches ab; bilden aber mit Ammoniak oder kohlensaurem Kali ulmin- oder huminsaure Salze, aus deren brauner Lösung die Säure durch eine Mineralsäure gefällt wird. Ulminsäure und Huminsäure sind zu erst in beträchtlicher Menge in Wasser löslich, werden aber durch Trocknen unlöslich, und daher reagiert ein sehr humusreicher Boden doch nicht sauer. Was durch Kali oder Ammoniak aus den braunen oder schwarzen Stoffen nicht gelöst wird, nennt man Ulmin und Humin.

Mit Wasser vollständig ausgelaugter, feuchter H. zieht Ammoniak an, und es entsteht humussaures Ammoniak, das durch Wasser ausgezogen werden kann. Schneller und in größerer Menge entsteht dasselbe, wenn der H. mit Kreide oder Ätzkalk gemischt wird. Daneben wird Sauerstoff aus der Luft aufgenommen, und es bildet sich apokrensaures (quellsatzsaures) Salz. Letzteres kann unter passenden Umständen (an tiefen Stellen u. dgl.) zu krensaurem (quellsaurem) Salz reduziert werden; an der Luft aber wird es oxydiert, und zuletzt bleibt kohlensaures Salz zurück. Auf diese Weise wird der H. zersetzt. Die Zersetzung erfolgt besonders schnell hel Gegenwart von Basen, weshalb Torf, der meist nur spärliche Mengen davon enthält, viel beständiger ist als der H. des Bodens, der mit kohlensauren Salzen gemengt ist. Kalkboden ist seltener humusreich als Sandboden.

Der H. ist für den Ackerboden von hoher Bedeutung. Infolge ihrer Oxydation liefern die Humussubstanzen beständig Kohlensäure, die dazu beiträgt, mineralische Stoffe im Boden zu zersetzen und zu lösen. Eisenoxyd, das durchaus unlöslich ist, wird durch die Humusstoffe reduziert, es entsteht kohlensaures Eisenoxydul, und dies gelangt leicht in Lösung. Die Humussäuren binden und lösen die anorganischen Stoffe des Bodens, wenn aber die Humussäuren in großem Überschuß vorhanden sind, so entstehen saure humussaure Salze, und diese werden vom Regenwasser allmählich ausgewaschen. Daher ist Torfboden sehr arm und oft ganz untauglich für die Vegetation. Sehr stark ist das Bindungsvermögen der Humussäuren für Ammoniak; beide Körper sind selbst durch stark wirkende chemische Agenzien nur schwierig zu trennen, und es wird daher niemals ein Verlust an dem durch Fäulnis organischer Substanz im Boden sich bildenden Ammoniak entstehen, wenn nur so viel Humussäuren im Boden vorhanden sind, daß neutrale Ammoniaksalze gebildet werden können. Ferner haben die Humussäuren eine bedeutende lösende Kraft für manche in Wasser unlösliche Verbindungen, wie namentlich die Phosphorsäuresalze. Nicht minder wichtig ist das Vermögen des H., große Mengen Wasser zu absorbieren und dadurch einen leicht austrocknenden Boden längere Zeit feucht, einen nassen Boden aber poröser und insofern auch trockner zu machen. 100 Teile Lauberde können 400–480 Teile Wasser zurückhalten. Da H. sehr hygroskopisch ist, führt er selbst in regenloser Zeit dem Baden etwas Wasser zu. Ebenso bedeutend ist das Aufsaugungsvermögen des H. für Gase, infolgedessen Sauerstoff, Ammoniak und Kohlensäure in verdichtetem Zustand und zwar in viel günstigerm [640] Verhältnis, als dies in der Atmosphäre der Fall ist, im Boden aufgespeichert werden und nun eine energische chemische Wirkung hervorbringen können. In Betracht kommt ferner noch die Lockerung des Bodens durch den H., sein starkes Vermögen, Wärme zu absorbieren, und die Bildung von Wärme durch die angedeuteten Prozesse.

Früher und besonders so lange, als die Bedeutung der Kohlensäure und des Ammoniaks für die Ernährung der Pflanzen noch unbekannt war, hielt man die braunen humusartigen Materien für das Material, das von den Pflanzen als Nahrung aufgenommen würde. Diese Humustheorie wurde aufgegeben, nachdem direkte Versuche erwiesen hatten, daß Pflanzen in ausgeglühter Erde (die also frei ist von organischen Substanzen) bei Zufuhr von Ammoniak und Kohlensäure sich freudig entwickeln, und da einfache Berechnungen anderseits lehren, daß der Kohlenstoff, der in einer Ernte dem Boden entnommen wird, nicht vollständig vom H. abstammen kann. Die Humustheorie fand ihren entschiedensten Bekämpfer in Liebig, der den organischen Stoffen des Bodens jeden andern Nutzen für das Pflanzenleben absprach außer dem, daß sie durch ihre Verwesung Kohlensäure und Ammoniak liefern, die sowohl als direktes Pflanzennahrungsmittel dienen, wie auch die mineralischen Bestandteile des Bodens löslich machen. Hierüber entbrannte ein heftiger Streit, und Mulder gelangte zu Resultaten, welche die Bedeutung des H. für die Pflanzenkultur klar darlegten. Die praktischen Landwirte legen daher auf den H. ein sehr großes Gewicht und sorgen dafür, daß die organische Substanz in ihren Feldern sich nicht vermindere. Um aber verarmten Feldern Humussubstanz zuzuführen, gibt man am besten eine Gründüngung. Dies ist vorteilhafter als eine Düngung mit Torf, weil die Stoffe, indem sie sich in H. verwandeln, belebend auf den Acker einwirken. Guter Boden enthält durchschnittlich 5–6 Proz. organische Substanz; indes kommen auch bedeutend ärmere und viel reichere Ackererden vor, die doch nicht zu den unfruchtbaren gerechnet werden können. Die Fruchtbarkeit ist also nicht direkt abhängig vom Humusgehalt; jedenfalls genügt eine geringe Menge H. im Boden, um alle die chemischen Funktionen zu erfüllen, die man vom H. überhaupt erwarten darf. Soll der H. die physikalischen Eigenschaften des Bodens verbessern, so muß er oft in viel größerer Menge vorhanden sein; aber in dieser Beziehung kann er durch gewisse Mischungen mineralischer Substanzen z. T. ersetzt werden. Von besonderm Interesse ist der humusreiche Boden, der sich über den südlichen und südwestlichen Teil des europäischen Rußland unter dem Namen Schwarzerde (Tschernosem) erstreckt. Er ist daselbst in solcher Gleichförmigkeit und Mächtigkeit verbreitet, daß er als eine durch allgemeine Einflüsse entstandene jüngste Formation der Erdoberfläche angesehen werden muß und bildet die Grundlage des russischen Reichtums an Bodenerzeugnissen. Wie bedeutend die Humussubstanzen an geologischen Bildungen sich beteiligen, sieht man ferner an den Marschen, wo sein zerteilter H. mit erdigem Mineral-, namentlich Lehm- und Tonschlamm innig gemengt, mächtige Ablagerungen bildet. Im Torf haben wir den H. in fast reiner Gestalt, und man darf annehmen, daß Braunkohle, Steinkohle, Anthrazit aus ähnlichen humusartigen Bildungen hervorgegangen sind. Vgl. Sprengel, Bodenkunde (2. Aufl., Leipz. 1844); Mulder, Chemie der Ackerkrume (deutsch, das. 1862, 2 Bde.); Senft, Die Humus-, Marsch-, Torf- und Limonitbildungen (das. 1862); P. E. Müller, Studien über die natürlichen Humusformen (Berl. 1887); Ollech, Über den H. und seine Beziehungen zur Bodenfruchtbarkeit (das. 1890); Wollny, Die Zersetzung der organischen Stoffe und die Humusbildungen, mit Rücksicht auf die Bodenkultur (Heidelb. 1897).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 640-641.
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