Ovidĭus Naso

[268] Ovidĭus Naso, Publius, berühmter röm. Dichter, geb. 43 v. Chr. zu Sulmo im Lande der Peligner, aus altem, begütertem Rittergeschlecht, gest. 17 n. Chr. in Tomi am Schwarzen Meer, studierte auf des Vaters Wunsch Beredsamkeit und bekleidete mehrere untergeordnete Ämter. Bald aber zog er sich vom Staatsdienst zurück und führte in Rom ein der Dichtkunst und dem Genuß gewidmetes Leben, bis er plötzlich 8 n. Chr. von Augustus, zu dessen Haus er durch seine dritte Heirat nähere Beziehungen hatte, aus Gründen, die O. nur dunkel andeutet, die aber jedenfalls mit dem Ehebruch der jüngern Julia in Verbindung standen, nach dem unwirtlichen Tomi (jetzt Anadolköi bei Küstendsche in der Dobrutscha) verwiesen ward. Hier starb er gebrochenen Herzens, nachdem alle Bemühungen um Begnadigung oder wenigstens Anweisung eines andern Verbannungsortes fehlgeschlagen waren. Als Dichter zeichnet sich O. durch Meisterschaft im Versbau und durch Leichtigkeit und Anmut der Darstellung aus; aber Tiefe und Kraft des Gefühls und der Gedanken stehen nicht auf gleicher Höhe; ohne Stetigkeit springt er von einer Empfindung zur andern über, weil er sich ganz dem Eindruck des Augenblicks überläßt und mehr nach rhetorischen als poetischen Regeln komponiert. Dadurch wird er oft witzig und geistreich, oft aber auch leer und nichtssagend. Am meisten entsprach seiner Eigenart die erotische Elegie, mit der er (abgesehen von einer verlornen, sehr gerühmten Tragödie, »Medea«) seine poetische Laufbahn begann. Die aus der ersten Periode derselben erhaltenen Schriften sind die drei Bücher »Amores« (Liebeselegien), deren Mittelpunkt eine Corinna genannte Geliebte ist (übersetzt von Öhlschläger, Leipz. 1880); die »Ars amatoria« (Liebeskunst) in 3 Büchern (hrsg. von Brandt, das. 1902); die »Remedia amoris« (Heilmittel der Liebe, alle drei hrsg. von L. Müller, Berl. 1861); »De medicamine faciei« (über Schönheitsmittel, nur ein Bruchstück, hrsg. von Kurz, Wien 1881); »Epistulae« oder »Heroïdes«, d.h. Liebesbriefe von Heroinen an ihre abwesenden Geliebten, eine von O. zuerst ausgebildete Spielart der poetischen Epistel (hrsg. von Lörs, Köln 1829–30, 2 Bde.; Sedlmayer, Wien 1886; übersetzt von Koch, Bamberg 1889). Einer zweiten Periode gehören an die 15 Bücher »Metamorphoses« (»Verwandlungen«), sein bekanntestes Werk, eine kunstvoll in fortlaufenden Zusammenhang gesetzte Erzählung von Verwandlungsmythen von der Weltschöpfung bis zu Cäsars Verwandlung in einen Stern in Hexametern (neuere Ausg. von Haupt, Bd. 1, 7. Aufl. von Korn-Müller, Berl. 1886; Bd. 2, 3. Aufl. von Ehwald, das. 1898; von Korn, das. 1880; von Magnus, 2. Aufl., Gotha 1892; übersetzt von Voß, 2. Aufl., Braunschw. 1829, 2 Bde.; Tippelskirch, Berl. 1873); und die »Fasti«, ein »Festkalender« in elegischem Maß, ursprünglich auf 12 Bücher für die 12 Monate berechnet, von denen O. jedoch nur die 6 ersten vollendet hat, wichtig für Mythologie und Kultus der Römer durch die an die einzelnen Feste geknüpften mythischen Erzählungen und Schilderungen der Gebräuche[268] (hrsg. von Merkel, Berl. 1841, und Peter, 3. Aufl., Leipz. 1889). Aus der Zeit seiner Verbannung stammen die Elegiensammlungen »Tristia« (»Klagelieder«) in 5 Büchern (hrsg. von Merkel, Berl. 1837; Lörs, Trier 1839; Owen, Oxf. 1889) und »Epistulae ex Ponto« in 4 Büchern (hrsg. von Korn, Leipz. 1868), ferner »Ibis«, ein dem Kallimachos nachgeahmtes Schmähgedicht gegen einen Unbekannten (hrsg. von Ellis, Oxf. 1881), und die »Halieutica«, ein von den Fischen im Schwarzen Meer handelndes unvollendetes Lehrgedicht in Hexametern (hrsg. von Haupt, Leipz. 1838; Birt, Berl. 1878). Wichtigste Gesamtausgaben: von Nik. Heinsius (Amsterdam 1661, 3 Bde.), Burmann (das. 1727, 4 Bde., u. Oxf. 1827, 5 Bde.), Merkel (4. Aufl. von Ehwald, Leipz. 1888 ff., 3 Bde.) u. Riese (das. 1871–74, 3 Bde.). Übersetzung von Lindemann (mit Text, Leipz. 1853–1867, 6 Bde.) und in den Sammlungen von Metzler und Hoffmann. Vgl. Ribbeck, Geschichte der römischen Dichtung, Bd. 2 (Stuttg. 1889); J. J. Hartman, De Ovidio poeta (Leiden 1905); La Ville de Mirmont, La jeunesse d'Ovide (Par. 1904).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 268-269.
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