Conventikel

[419] Conventikel (v. lat.), heimliche Versammlungen Mehrerer zu religiösen Zwecken, mit der wirklichen, od. nur angegebenen Absicht sich zu erbauen. Sie unterscheiden sich von dem Hausgottesdienst dadurch, daß an demselben in der Regel nur Familienglieder Theil nehmen, während bei den C-n auch anderen Gleichgesinnten die Theilnahme gestattet wird, u. von dem Gottesdienst der Secten dadurch, daß derselbe, sobald die Sectirer anerkannt sind, zu bestimmten Zeiten u. gewöhnlich öffentlich gehalten wird. Die Entstehung der C. geht in die frühesten Jahrhunderte zurück. So stifteten z.B. schon die Kirchenväter Ambrosius u. Hieronymus im 4. u. 5. Jahrh. Privaterbauungen, die man als die Pflanzstätten der Mystik u. der Schwärmerei anzusehen pflegte; ebenso war die Zeit der mystischen Scholastik u. der mittelalterlichen Romantik diesen Tendenzen sehr günstig, u. wie groß die Neigung zu C-n in dem Reformationszeitalter war, ergibt sich u.a. aus Luthers Schrift gegen die Schleicher u. Winkelprediger. Sehr verbreitet u. sehr beliebt wurde das C-wesen durch die von Spener im 17. Jahrh. gestifteten u. von seinen Anhängern gepflegten Andachtsstunden (Collegia pietatis, s. u. Pietismus), u. von dieser Zeit an bis in die Gegenwart hat es seine Freunde gefunden. In neuester Zeit hat sich das C-wesen namentlich in Preußen gezeigt, wo in Königsberg bis 1842 die sogenannten Mucker solche Zusammenkünfte hielten, ferner in der Rheinprovinz, bes. in den Gegenden Preußens, wo die Altlutheraner in Conflict mit dem Kirchenregiment gekommen waren. Wo sich in Kurhessen Versuche, solche C. zu halten, zeigten, wie 1824 im Hanauischen, 1835 in Kassel, in Fechenheim etc., wurde von der kirchlichen u. Polizeibehörde dagegen eingeschritten. In Württemberg, wo viele religiöse Secten u. Parteien sich gebildet hatten, z.B. die Anhänger des Apokalyptikers Bengel, die Michelianer, die Freunde des Predigers Lasinsky u. des Prälaten Ötinger u. A., war für das C-wesen ein um so geeigneteres Feld, je milder in einigen Punkten die Staatsgesetzgebung war, jedoch trat seit 1843 eine Abnahme des C-wesens ein. In Lippe-Detmold griff seit 1844 das C-wesen sehr um sich u. wurde von Missionären gefördert; im Königreich Sachsen war bes. der Pfarrer Martin Stephan unter dem Ministerium Einsiedel für diese Zwecke wirksam u. gewann vornehmlich in dem Muldenthale im Schönburgischen, sowie in einigen Orten des benachbarten Herzogthums Altenburg Anhänger. Nachdem im Weimarischen schon 1821 ff. ein Arzt, de Valenti, das C-wesen gefördert hatte, erneuerte sich dasselbe bald darauf im Neustädter Kreise, wo namentlich ein Kaufmann Schwabe einen ziemlich großen Kreis um sich versammelte. Durch wiederholt eingeschärfte Verordnungen der Regierung wurde indeß dem sehr bald gesteuert. Im Altenburgischen gründete ein Lieutenant v. Wurmb aus Rudolstadt u. Pfarrer Löber in Eichenberg eine Tractatengesellschaft, in deren Schriften auch das C-wesen eindringlich empfohlen wurde; die kirchliche Behörde schritt 1826 dagegen ein. In der Schweiz hat das C-wesen von jeher viel Beifall gefunden, bes. in Lausanne u. Vevay, wo 1822 die Soirées religieuses gegründet wurden; in Genf, wo die Freunde der Frau v. Krüdener ihren Anhang hatten; in Zürich u.a. O. Mit großem Eifer wurden die C. durch die Momiers (s.d.) gepflegt. Von Seiten der Staatsgewalt u. des Kirchenregiments wurden diese C. nicht günstig beurtheilt, u. in der Spenerschen Zeit erfolgten in vielen Ländern Verbote, die jedoch später theils zurückgezogen (wir 1690 in Darmstadt) od. gemildert (wie 1734 in Hannover), jedoch auch manchmal wieder erneuert u. verschärft wurden (wie 1842 in Preußen). Andere Behörden beurtheilten die C. milder u. suchten nur den Mißbräuchen durch ihre Verordnungen vorzubeugen, z.B. das protestantische Oberconsistorium zu München in einer Verfügung vom 14. Juli 1836, die Verfügungen in Württemberg, in Westfalen u. anderwärts.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 4. Altenburg 1858, S. 419.
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