Heber [1]

[127] Heber, luftdichte, an beiden Enden offene Röhre, welche zwei Schenkel bildet, u. mit welcher man, wenn der eine Schenkel in ein Gefäß voll Flüssigkeit gestellt wird, diese aus dem Gefäße leitet, indem man mit dem Munde aus dem äußern Schenkel die Luft saugt, bis dieselbe nachgeflossen kommt. Ohne daß man nun weiter etwas an dem H. thut, fließt das Wasser fort, bis seine Oberfläche im Gefäße mit der Ausgußöffnung in eine horizontale Linie kommt. Diese Erscheinung gründet sich auf den Druck der Luft, welcher in einer luftleeren, mit ihrem unteren Ende in Wasser getauchten Röhre das letztere bis zu einer Höhe von 32 Fuß zu heben im Stande ist. Die nächste Folge hiervon ist nämlich, daß, wenn man den äußern Schenkel des H-s ansaugt, die Flüssigkeit in den luftverdünnten Raum[127] nachsteigt. Sind nun beide Schenkel des H-s gefüllt, so wirkt auf die Flüssigkeit des inneren Schenkels vermöge des auf der Oberfläche der Flüssigkeit im Gefäß ruhenden atmosphärischen Luftdrucks ein Druck von 32 Fuß Wasser vermindert um die Flüssigkeitssäule des inneren Schenkels, an der Mündung des äußeren Schenkels aber wirkt in der Richtung nach oben ein Druck von 32 Fuß Wassers vermindert um die Flüssigkeitssäule des äußeren Schenkels. Ist nun die äußere Säule länger als die innere, so ist diese Druckverminderung für den äußeren Schenkel größer, als für den inneren, die Flüssigkeit wird also stärker von dem Gefäß aus in die Heberröhre getrieben, als die Gegenwirkung von außen ist, u. daher fließt die Flüssigkeit aus. Der Ausfluß nimmt ein Ende, sobald der innere Flüssigkeitsspiegel mit der äußeren Mündung in einer horizontalen Ebene liegt. Hieraus folgen bei der Anwendung des H-s folgende drei Gesetze: a) die Öffnung des inneren Schenkels muß in das Wasser eingetaucht sein; b) die Höhe von der Oberfläche des Wassers bis zum höchsten Punkt des H-s darf nicht über 32 Fuß betragen (die veränderliche Schwere der atmosphärischen Luft kann jedoch hierbei Abweichungen hervorbringen); c) die Öffnung des äußeren Schenkels muß tiefer liegen als die Oberfläche des Wassers. Früher glaubte man, der äußere Schenkel des H-s müßte länger sein, doch wurde dies von I. Jordan in Stuttgart u. dem württembergischen Leibarzte Salomon Reisel zu Ende des 17. Jahrh. widerlegt, weshalb die gleichschenkeligen H. Württembergische H. heißen. Will man einen H. anwenden, welcher so groß ist, daß die Luft nicht mit dem Munde ausgesaugt werden kann, so muß er an beiden Enden durch Hähne verschlossen u. oben durch eine Öffnung mit Wasser gefüllt werden, welche nach der Füllung luftdicht verschlossen werden kann. Öffnet man nun die Hähne, so thut der H. unter den eben angegebenen drei Gesetzen seine Wirkung. Will man mit einem H. eine Flüssigkeit ausheben, welche beim Aussaugen der Luft nicht in den Mund kommen darf, so wird nahe an der Ausgußöffnung eine aufwärts gehende Röhre angebracht, durch welche man die Luft aussaugt, während man die Ausgußöffnung mit der Hand zuhält. Man bedient sich oft des H-s, um eine Flüssigkeit von der anderen zu trennen, um Gefäße mit engen Öffnungen zu füllen od. zu leeren. Zu diesem Behufe dient bes. der Stechheber; er besteht in einer nach unten hinreichend sich verengenden, nach oben zu einem Gefäß sich erweiternden, endlich zu einem Halse sich verengenden Röhre. Taucht man die untere Öffnung in das Gefäß mit Flüssigkeit u. saugt am Halse die Luft aus, so treibt der äußere Luftdruck die Flüssigkeit in den H. Verschließt man hierauf den Hals mit dem Finger, so kann man den Stoff aus dem Gefäß herausziehen, ohne daß die Flüssigkeit wieder abfließt, denn sie wird durch den äußeren Luftdruck getragen. Nur wenn bei heftigem Schütteln am Rande der unteren Öffnung Luftblasen eindringen u. im H. aufsteigen können, so verdrängen sie die Flüssigkeit; ist die untere Öffnung eng, so ist die Capillaranziehung der Flüssigkeit u. der Röhrenwand stark genug, um bei schwachen Erschütterungen das Eindringen von Luftblasen zu verhindern. Auf den Gesetzen des H-s beruht auch die Einrichtung des sogenannten Vexirbechers (Tantalusbecher, Diabetes). Auf dem Boden des Gefäßes steckt in einer Öffnung eine Röhre, an beiden Enden offen; über dieselbe ist eine andere gestülpt, von größerem Durchmesser, unten offen, aber oben verschlossen. Der Raum zwischen den beiden Röhren dient als kürzerer Schenkel eines H-s. Gießt man nun so viel Flüssigkeit in das Gefäß, daß das Niveau die Höhe der oberen Öffnung der inneren Röhre erreicht, so fließt sie durch die untere Öffnung derselben aus dem Becher wieder aus, bis das Niveau zu der unteren Öffnung der übergestülpten Röhre gesunken ist. Man kann auch den kürzeren Schenkel in die Wand des Gefäßes u. den längeren in den Henkel verbergen. Auf ähnliche Weise sind die H. construirt, welche man am Kanal zu Languedoc angebracht hat, um das Überfließen des Kanals zu verhindern. Hierher gehört ferner die Bruderliebe; drei Gläser sind mit einer Flüssigkeit, aber zu ungleichen Höhen angefüllt. Der innere Raum einer Hohlkugel ist durch drei Röhren mit der Flüssigkeit in den Gläsern in Verbindung. Saugt man die Luft aus der Kugel u. den Röhren u. verstopft dann die Mündung, so steigt die Flüssigkeit durch die Röhren in die Kugel, u. die drei Gefäße füllen sich nachher zu einer gleichen Höhe. Biegt man das untere Ende des langen Schenkels des H-s um u. läßt ihn in eine Spitze auslaufen, so spritzt das Wasser aus dieser Spitze in die Höhe. Wird jenes Ende in einen Ring umgebogen u. werden in dem Umfange desselben Löcher angebracht, so entsteht der Sonnenheber. Gibt man dem Stechheber die Einrichtung, daß er unten in ein weites Gefäß mit durchlöchertem Boden ausgeht, so hat man eine Magische Gießkanne (Sieb der Vestalin). Das Wasser läuft nicht aus, so lange man die obere Öffnung verschlossen hält. Eine Art von H. sind die Zaubertrichter u. Zauberbrunnen. Der Zaubertrichter besteht aus zwei Trichtern, wovon einer in dem andern steckt; zwischen beiden ist ein Zwischenraum u. beide sind oben zusammengelöthet u. es befindet sich nur ein Loch in dem Rande, an dem unteren spitzen Rande ist aber der Zwischenraum offen gelassen. Taucht man nun den Zaubertrichter in Flüssigkeit od. füllt ihn durch schnelles Eingießen, während das obere Loch offen ist, so füllt sich nach dem Gesetz der communicirenden Röhren auch der verborgene Zwischenraum. Verschließt man hierauf das Loch mit dem Finger, so fließt zwar die Flüssigkeit aus dem offenen Theile des Trichters, sie verharrt aber nach dem Gesetze des Stechhebers in dem Zwischenraume u. fließt dann erst ab, wenn man den Finger vom Loche wieder entfernt. Die H. waren schon den Griechen bekannt, Heron von Alexandrien erwähnt dieselben. Vgl. Anatomischer Heber. Breant's H. wird in Schwefelsäurefabriken gebraucht, um die im Platinakessel concentrirte Schwefelsäure herauszuheben. Er ist von Platin u. sein außerhalb des Kessels befindlicher Schenkel, ungefähr 16 Fuß lang, geht durch eine 5–6 Zoll weite, mehrere Fuß kürzere Röhre von Kupfer, welche als Kühlapparat dient u. die Einrichtung der Liebig'schen Kühlapparate hat. Zwei Kugelventile, sowie ein besonderer Hahn sind angebracht, um den H. ohne Aussaugen u. dgl. in Gang zu bringen; der H. wird gefüllt, indem man den unteren Hahn schließt u. durch die hochliegenden Flügelventile Schwefelsäure eingießt; bei nachherigem Öffnen des Hahns fließt der H.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 127-128.
Lizenz:
Faksimiles:
127 | 128
Kategorien: